June 6, 2016 / erstellt am:  June 10, 2016
Fotografie, Schweiz, Tourismus / Bewertung: 8

Mit Flip Flops im ersten Schnee

Sowohl die Vorbereiteten wie die Unvorbereiteten waren ahnungslos. Die Vorbereiteten mit Handschuhen, Daunenjacke, Pudelmütze und Sonnenbrille. Und die Unvorbereiteten nur in Flip Flops. Sie wussten nicht wie es ist auf über 3000 Meter über Meer, wo ewiger Schnee auf dem Gletscher liegt. Sie wussten nicht, wie sich Schnee anfühlt, weil sie ihn noch nie selber erlebt haben. Schnee haben sie bisher nur im Kino, Fernsehen oder auf Bildern gesehen. Die Vorbereiteten haben davon gehört, dass er kalt sein muss. Die Unvorbereiteten haben nur an ihre Fotokamera gedacht.

Ich war auch eher unvorbereitet, nicht gerade in Flip Flops. Aber ich vergass eine Sonnenbrille mitzunehmen. So musste ich die Augen zusammenkneifen. Geblendet von so viel Weiss der Wolken und des Schnees. Dazwischen immer wieder blaue Flecken mit Himmel. Die Aussicht war durch die vielen Wolken eher eingeschränkt, was die Freude der vorwiegend asiatischen Touristen nicht trüben konnte.

Der Titlis ist per Luftseilbahn von Engelberg aus zu erreichen. In 45 Minuten von 1000 Meter auf über 3000 Metern Höhe über Meer. Oben grüsst der indische Filmstar Shahrukh Khan zusammen mit Filmpartnerin Kajol als Pappfigur in Lebensgrösse. Zwischen April und September wird Engelberg und der Titlis zum Pilgerort für indische Touristen. Sie wollen sehen, wo ihre Bollywoodfilme gedreht wurden. Jährlich werden für rund 30 Filme Szenen in der Schweiz produziert, mit positiven Folgen für den Tourismus. Engelberg ist für indische Reisegruppen ein Sehnsuchtsort der Leidenschaft. Weil Titlis auf Hindi schwer auszusprechen ist, bekam der Gletscher den einfach zu merkenden Namen: Berg der Liebe.

1995 lud der Marketingmanager von Engelberg ein indisches Filmteam ein, auf dem Titlis einen Film zu drehen. Das kam der Bollywood-Industrie gerade recht, schließlich gehören exotische Landschaften mit schneebedeckten Bergen zu den festen Bestandteilen der Filmromanzen. Diese Szenen wurden früher oft im Himalayastaat Kashmir gedreht, doch angesichts des Kashmir-Konflikts wurde das immer schwieriger. So kam es, dass sich Indiens beliebtestes Filmpaar Sharukh Kahn und die schöne Kajol in dem Film «Dilwale Dulhania Le Jayenge», zu deutsch «Wer zuerst kommt, kriegt die Braut», auf dem Gletscher in den Schnee warfen. Sie kugelten verliebt die Hänge hinunter, tanzten, lachten und sangen. Die Touristen machen es ihnen heute nach.

Saftige Wiesen, blaue Seen und tanzende Verliebte vor einer traumhaften Bergkulisse: Jahrelang wurde die Schweiz in indischen Filmen als idyllisches Paradies dargestellt. Für viele Inder ist die Schweiz immer noch ein Paradies auf Erden: ein Land mit einer wunderschönen Landschaft und Bergwelt, friedlich, sauber und mit überschaubaren, schmucken Städten. Durch die Filme konnte das Image eines Traumreisezieles nachhaltig aufgebaut werden. In Indien gibt es auch Berge mit Schnee, die jedoch nicht so gut erschlossen sind. Gemäss den Schätzungen der «Pacific Asian Tourism Association» können sich rund 25 Millionen zahlungskräftige Inderinnen und Inder Ferien im Ausland leisten. Indische Gäste gelten – auch in der Schweiz – als sehr ausgabefreudig.

Es ist ein herzerwärmendes Schauspiel, wie sich die asiatischen Touristen, nicht nur indische, im Schnee vergnügten. Die Freude der Touristen ist ansteckend und erinnert mich an meine eigene Kindheit, als ich selber zum ersten Mal Schnee erlebte.

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