July 13, 2020 / erstellt am:  July 16, 2020
Fotografie, Fotoreportage, Velotour / Bewertung: 7

Im Alltäglichen das Schöne sehen

Um fit zu bleiben habe ich vor ungefähr zwei Monaten mit regelmässigem Fahrradfahren begonnen. Mit reiner Muskelkraft und ohne elektrische Unterstützung. Jeden Morgen nach dem Aufstehen. Den inneren Schweinehund überwinden ist einfacher, wenn es täglich geschieht. Jeden Morgen meine 10.7 Kilometer. Nicht nur flach geradeaus, sondern mit zwei Steigungen und einer rasanten Abfahrt. 99 Meter rauf durchs Gümligental und 99 Meter wieder runter. Je nach Verkehrslage brauche ich 35 bis 40 Minuten. Selten 42 Minuten wie von Google berechnet. Das Vermeiden von Autostrassen und die Nutzung von Radwegen ist leider nicht überall möglich.

Von der Stadt in die Agglomeration und über Land. Von Kreuzungen mit Verkehrsampeln über Kreisel zur asphaltierten Landstrasse und unasphaltierten Waldwegen. Vorbei an Ein- und Mehrfamilienhäusern, Einkaufszentren, Mustersiedlungen, Bauernhöfen und sogar vorbei an einem Schloss. Obwohl das Schloss Wittigkofen eher wie ein Landhaus und nicht wie ein Schloss aussieht. Fast täglich begegne ich Hunden auf Spaziergängen mit ihren Herrchen. Oder herumstreunende Katzen oder Kühe auf den Weiden. Etwas seltener Ross mit Reiter und wenn ich Glück habe sogar ein Reh. Da es jeden Morgen dieselbe Strecke ist, sehe ich genau, was sich wo verändert oder immer gleich bleibt.

Letzten Montag nahm ich meine Fotokamera mit um einerseits den Weg zu dokumentieren und andererseits schöne Bilder zu finden, wo man sie vielleicht nicht erwarten würde. Das Dokumentarische muss das Ästhetische nicht zwingend ausschliessen. Das Schöne im Alltäglichen sehen. Das Licht der aufgehenden Sonne an diesem wunderschönen Sommermorgen begünstigte mein Vorhaben.

Mit dem Wort Agglomeration assoziiert man hässliche Betonklötze, verdichtete Wohnsiedlungen und rein funktionale Infrastruktur ohne ästhetischen Anspruch. Es ist weder Stadt noch Land. Irgendetwas dazwischen. Hier wohnen solche, die mit Familie aufs Land ziehen wollten, aber dennoch die Nähe zur Stadt suchten zum Einkaufen, zum Ausgehen oder weil sie dort arbeiten. Am Morgen bewegen sie sich in Pendlerströmen stadteinwärts und abends wieder zurück. Oder in der Agglo findet man Sozialwohnungsbau kombiniert mit Billigdiscounter für solche, die sich das Wohnen in der Stadt nicht leisten können. Es wird Türkisch, Portugiesisch, Vietnamesisch und manchmal auch Schweizerdeutsch gesprochen. Es herrscht immer ein gewisses Durcheinander, weil so viel Verschiedenes aufeinandertrifft. Was es wiederum spannend macht, wenn man etwas genauer hinguckt.

Der Verzicht auf die Farbe lenkt die Aufmerksamkeit auf die Form und unterstützt damit meine Absicht des anderen Schauens. Durch die fehlenden Farben wirken Landschaften, Häuser und Umgebungen plötzlich anders, als wenn wir sie real in Farbe sehen und dadurch nur zu gerne übersehen. Nur Gärten mit bunten Blumen verlieren ohne Farben ihre Wirkung. Es sei denn man kombiniert sie mit Gartenzäunen oder anderen architektonischen Eingriffen. Natürlich besteht die Gefahr Langweiliges oder Banales zu fotografieren, was wiederum bei der Auswahl korrigiert werden kann, in dem man Langweiliges und Banales weglässt. Und manchmal hat eben auch Langweiliges und Banales seine Berechtigung.

Wie immer beim Fotografieren ist die richtige Auswahl am Ende entscheidend. Nicht möglichst viele Fotografien, sondern nur die Besten sollen gelten. Und dennoch sind es 42 Aufnahmen geworden. Für jede Minute, die ich unterwegs war, eine Aufnahme – so ungefähr.

Es hat sich bereits wieder verändert. Gewisse Fotografien wären nicht mehr möglich. Ich habe es gesehen, heute Morgen auf meiner Radtour.

Zu allen Fotografien

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