August 20, 2016 / erstellt am:  August 31, 2016
Fotografie, Aktfotografie, / Bewertung: 9

Eine Gratwanderung zwischen Erotik und Pornografie

«Aktaufnahmen sind ohne Zweifel ein sehr heikles Gebiet, denn nirgends ist die Gefahr, dass aus dem guten Wollen ein entsetzlicher Missgriff wird, so groß wie beim Aktfoto. Vor einem falschen Hintergrund, in unechter Stellung und Gebärde kann ein unbekleideter Mensch allzu leicht nur «ausgezogen» wirken …» (Werner Wurst, deutscher Fotograf, Werbefachmann und Sachbuchautor)

Auf der Suche nach Beispielen guter Aktfotografie beginne ich mich schnell zu langweilen. Abgesehen davon, dass man anscheinend unter Aktfotografie zu 90% Frauenakte versteht, wirken die gefundenen Beispiele oft sehr kitschig. Zu überinszeniert, zu perfekt und zu gewollt schön. Der perfekte Körper ins perfekte Licht gerückt. Bei Frauen sind es die wohlproportionierten Rundungen und beim Mann der durchtrainierte muskulöse Körper. Der Körper als Landschaft, als ob jegliche erotische Anziehung vermieden werden will um nicht in den Verdacht von Pornografie zu geraten. Gibt es nicht noch andere Möglichkeiten, nackte oder halbnackte Körper fotografisch darzustellen? Mich interessiert die Realität, so wie sie eben ist. Und die Realität besteht oft nicht aus perfekten Körpern, sondern ist mit gewissen Makeln behaftet. Aber gerade diese kleinen Makel unterstreichen die selbstbewusste Persönlichkeit und können eine starke Erotik ausstrahlen. Auch ein perfekter Körper schlecht fotografiert ergibt keine guten Ergebnisse. Und natürlich ist es immer eine Gratwanderung zwischen erotischer Aktfotografie und peinlichem Nacktbild.

Die Grenzen zwischen Akt, Erotik und Pornografie lassen sich nicht trennscharf ziehen: Was der eine vorbehaltlos akzeptiert, kann für den anderen bereits unter der moralischen Gürtellinie angesiedelt und somit pornografisch besetzt sein. Die Rechtsprechung definiert wiederum Pornografie «…als grobe Darstellung des Sexuellen in drastischer Direktheit, die in einer den Sexualtrieb aufstachelnden oder die Geschlechtlichkeit in den Schmutz ziehenden oder lächerlich machenden Weise den Menschen zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung jedweder Art degradiert» (fsm.de). Abgesehen davon sind die Gestaltungsgrenzen aber weit gesteckt und die künstlerische Freiheit sogar durch das Grundgesetz geschützt. (Karl Stechl, Redakteur und Fotograf)

Nackte Körper sind heute omnipräsent - in der Werbung, in Zeitschriften, im Fernsehen, im Internet, in der Kunst. Nackte Haut wird gerne gesehen. Was früher als unsittlich galt ist heute Mainstream. Und dennoch stellt sich immer noch die Frage, was ist Erotik und wann beginnt Pornografie. Die Grenzen zwischen Akt, Erotik und Pornografie auszuloten ist besonders reizvoll. Auf die Gefahr hin vulgär oder obszön zu wirken. Wo sind meine eigenen Grenzen? Wo beginnt meine eigene Scham? Was empfinde ich als erotisch und was ist mir selber peinlich? Wann ist Akt, Erotik oder Pornografie Kunst? Noch habe ich keine Antworten auf diese Fragen.

Es ist erstaunlich, wie leicht es mir fällt ihm zu sagen, er soll sich ausziehen. Meine Aufforderung bringt ihn nicht in Verlegenheit. Es gehört zu seinem Job. Ich gebe Anweisungen und er befolgt sie. Beinahe willenlos. Er lächelt in die Kamera. Wirkt entspannt. Was er dabei denkt, weiss ich nicht. Er schweigt. Das Wenige, was ich über ihn weiss, scheint sich zu bestätigen. Er weiss nichts über mich und will es wahrscheinlich auch nicht wissen. Er ist jung und braucht das Geld. Oder er ist jung und weiss nicht, was er tut. Junge, mach eine Ausbildung, lerne etwas Vernünftiges, möchte ich ihm sagen. Das klingt wie der Rat besorgter Eltern. Warum verkauft er seinen Körper? Ist es das schnelle Geld, oder seine Faulheit etwas Vernünftiges zu lernen? Er wirkt aufgeweckt und intelligent, sieht gut aus und weiss doch nichts Besseres zu tun, als sich zu prostituieren. Was heute funktioniert kann in ein paar Jahren vorbei sein. Zeitlich begrenzt. Natürlich nutze ich ihn aus. Ich benutze seinen jugendlichen Körper für meine Fotografie. Auch zeitlich begrenzt. Die Spielregeln sind bekannt. Wer bezahlt bestimmt. Seine Nacktheit erregt mich nicht. Ich konzentriere mich einzig und allein auf das Fotografieren. Stimmen die Kameraeinstellungen, stimmt das Licht, stimmt die Bildkomposition, stimmt der Bildhintergrund. Die Abendsonne scheint durch das Fenster und erzeugt eine angenehme Stimmung aber auch harte Kontraste, was das Fotografieren erschwert. Nicht jede Pose funktioniert so, wie ich es mir vorgestellt habe. Dafür nutze ich spontane Situationen, die ich mir nicht ausgedacht habe. Das Ziel sind erotische Aktaufnahmen jenseits dieser kitschigen Hochglanzästhetik. Warum sollte ich es nicht tun? Es ist eine neue Erfahrung und Bereicherung in meinem Leben.


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