January 4, 2017 / erstellt am:  January 4, 2017
aufgefallen, gefallen, Literatur, Buch

Alle kennen Karl Ove Knausgard

Die Kritik, er sei zu selbstverliebt, greift zu kurz. Wäre er wirklich zu selbstverliebt würde er ein makelloses Bild von sich malen, sich zum Helden hochstilisieren. Aber genau das tut er nicht. Eher im Gegenteil. Schonungslos ehrlich erzählt er uns sein Leben mit allen Peinlichkeiten und Unzulänglichkeiten. Detailversessen bis zum Gehtnichtmehr. Ungewöhnlich in Zeiten pausenloser positiver Selbstinszenierungen, wie man sich sonst überall antrifft. Er will sich von seiner Sucht befreien, anderen zu gefallen in dem er alles so erzählt, wie es wirklich war. Natürlich nur aus einer Perspektive, aus der seinen, eine andere hatte er ja nicht. Dass er dabei selber nicht gut dastehen wird am Schluss, hat er in Kauf genommen.

Nach «Sterben» und «Leben» wollte ich den fünften Band «Träumen» eigentlich nicht mehr lesen. Zu langweilig, zu unbedeutend, zu belanglos, zu ausufernd, zu langatmig. Aber nachdem ich zwei andere von Literaturkritikern hochgelobte Bücher mir unbekannter Autoren nach 100 gelesenen Seiten entnervt beiseite legte, weil ich so gar nichts damit anfangen konnte, kam mir ein Knausgard gerade recht. Da wusste ich worauf ich mich einliess und begann zu lesen. Es ist einfach und anspruchslos geschrieben, dass man es einfach so wegließt. Leicht konsumierbare Kost. Es macht auch nichts, wenn man über dem Buch einschläft und den Faden verliert, weil man ihn sofort wieder aufnehmen kann, wenn man erwacht. Nur eines braucht man, genügend Zeit zum Lesen, weil jeder der 5 Bände um die 700 Seiten umfasst. Gut möglich, dass man sich als Literaturbanause outet, wenn man Knausgard liest. Aber was kümmert mich das Geschwätz der anderen?

Das grosse autobiografische Projekt von Karl Ove Knausgard heißt im Original Min Kamp und umfasst sechs Bände. Der deutsche Verlag hat aus nachvollziehbaren Gründen davon abgesehen, die Bücher unter dem Titel Mein Kampf in den Handel zu bringen. Die ersten fünf auf Deutsch erschienenen Bände heißen Sterben, Lieben, Spielen, Leben und Träumen. Der sechste und letzte Band soll 2017 auf Deutsch erscheinen.

«Knausgård erzählt in Min Kamp von seinem Leben ohne vorsätzliche Fiktionalisierung und den entsprechenden Kulissenzauber. Deswegen passiert auch nichts Krasses, wie wir es oft in bemüht radikalen Romanen schlucken müssen. Das Krasse als Effekt der poetischen, symbolischen Verdichtung kommt hier nicht vor. Das Krasse baut sich hingegen langsam, aber dann umso mächtiger in der genauen Protokollierung des Alltäglichen unserer Wünsche, Sehnsüchte und Triebe auf.» (Iioma Mangold in Zeit online)

Die Bücher von Knausgard polarisieren extrem und beide Seiten haben Recht. Ablehnung und Bewunderung. So sagt zum Beispiel Philipp Tingler im Literaturclub: «Es zeigt sich wieder einmal wie unerträglich Ehrgeiz ohne Talent ist.» Knausgard träumt davon ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden, habe aber kein Talent dazu. Und auch keine Fantasie, wie er selber während seines Studiums an Schreibakademie in Bergen herausfand. Die fehlende Fantasie um Geschichten zu erfinden kompensiert er mit schonungsloser Offenheit in der Beschreibung seines bisherigen Lebens. So sehr ich Tinglers Eloquenz schätze, seine Bücher lese ich bedeutend weniger gern, auch wenn er um einiges talentierter ist.

«Er berichtete schonungslos von der großen Kluft zwischen einer großen Ambition, eines Tages ein bedeutender Schriftsteller zu werden und der Unfähigkeit etwas aufs Papier zu bringen. Er merkt, er hat nicht genug Phantasie um Romane zu schreiben. Sein Schreibkonzept ist schonungslos am eigenen Leben entlang zu schreiben, wobei er sein literarisches Scheitern zum Prinzip erhebt. Er lässt weder Raum für Inspirationen, noch für Imaginationen. Seine Triebfedern sind Selbstentblößung und Selbstbeobachtung im Spiegel seiner Mitmenschen, wobei die ihn wenig interessieren.» (Amazon-Kritiker Carl-Heinrich Bock)

«In seiner Heimat Norwegen und in Schweden, wo Knausgård jetzt lebt, schlägt die Veröffentlichung ein wie eine Bombe. Die ungeschönte Offenlegung von Knausgårds Innenleben, seiner Liebschaften, seiner familiären Beziehungen, seiner Ehekrisen provoziert heftige Diskussionen. Familienmitglieder drohen mit juristischen Schritten, die gesellschaftliche Debatte dreht sich um die Frage, wieweit man das Private öffentlich machen darf. Gerade in einem Land wie Norwegen, das die harmonische Gemeinschaft hochhält, verstösst Knausgård gegen vielerlei Tabus.» (SRF Kulturplatz 14.11.2014)

«Darum finden sich so viele in Knausgårds Werk – weil das Geschriebene so derartig ungewohnt intim ist, dass die Leser eine Beziehung mit einem unbekannten Autor beginnen, die sie oft weder zu sich, noch zu nahestehenden Menschen haben.» (Laudatio von Sibylle Berg)

Nun habe ich als drei von insgesamt sechs Büchern gelesen. Werde ich die fehlenden Drei auch noch lesen? Ich weiss es nicht. Eher nicht. Zu langweilig, zu unbedeutend, zu belanglos, zu ausufernd, zu langatmig. Aber vielleicht doch, weil ich jetzt schon weiss, worauf ich mich einlassen werde.


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