November 8, 2013 / erstellt am:  November 9, 2013
aufgefallen, gefallen, Kino, Film

Wenn Langeweile plötzlich spannend wird

Schnell urteilt man über andere Menschen. Taxiert sie meist unwillkürlich nach ihrer äusseren Erscheinung. Die Frage warum jemand so ist, wie er ist, so handelt, wie er handelt wagen wir uns nicht zu stellen. Diese Vorurteile abzulegen erfordert die Bereitschaft sich auf einen Menschen einzulassen, ihn kennenzulernen, mitzufühlen und dadurch vielleicht besser verstehen zu können.

Der holländische Regisseur Diederik Ebbinge setzt in seinem Film «Matterhorn» zu Beginn alles daran, den Protagonisten als festgefahrenen Langweiler erscheinen zu lassen. Eine graue Maus, ein skurriler Eigenbrötler, ein schräger Vogel. Der 54-jährige Fred lebt alleine in einem kleinen Dorf in einem Haus, das trotz penibler Sauberkeit verstaubt und veraltet wirkt. Er geht regelmässig zur Kirche und abends um Punkt 18.00 Uhr isst er seine grünen Bohnen mit Kartoffeln und Fleisch. In der streng reformierten Gemeinschaft meint er sich gut aufgehoben zu fühlen. Die ungewohnte Langsamkeit mit der die Geschichte erzählt wird und die zum Teil surreal anmutende Bildgestaltung passen zu Fred und seinem langweiligen und biederen Leben. Erst als wir erfahren, dass Fred schweigend um seine Frau und seinen Sohn trauert, beginnen wir mitzufühlen, ohne zu wissen, was mit ihnen geschehen ist.

Eines Tages trifft er auf einen verstörten, authistisch wirkenden Mann, den er bei sich aufnimmt und fortan sein Leben durcheinander bringen wird. Erst durch diese Begegnung realisiert er, wie einsam er zuvor gelebt hatte. Noch lachen wir über Fred und schämen uns fremd, wenn er zusammen mit seinem neuen Lebensgefährten bei Kindergeburtstagen auftritt. Auch Fred wird mit Vorurteilen seiner ultrakonservativen Umgebung konfrontiert, da sein Verhalten in der kleinen Dorfgemeinschaft suspekt aufgenommen wird. Er findet aber den Mut um mit seiner Umgebung, seiner Vergangenheit und sich selber ins Reine zu kommen.

Ein wunderbar, skurriler, liebenswürdiger Film, der in einem überraschenden Ende zum emotionalen Höhepunkt führt. Ohne Kitsch und Pathos fühlen wir mit und werden zu Tränen gerührt, was wohl das beste ist, was ein Film erreichen kann. Ein wahrlich besonderer Film. Das Matterhorn steht übrigens stellvertretend für einen Sehnsuchtsort. Es erinnert ihn an vergangene Zeiten, als Fred noch glücklich war, weil er da in den Ferien seiner Frau einen Heiratsantrag machte. Das Matterhorn erneut zu sehen ist der Anfang eines Neubeginns.
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