February 12, 2013 / erstellt am:  February 13, 2013
aufgefallen, gefallen, Kunst, Fotografie

Der Beginn einer grossen Karriere als Fotograf

Bereits als Kind oder Jugendlicher fiel mir diese Fotografie auf, jedoch ohne zu wissen von wem sie gemacht wurde. Erst dank Internet und Google stiess ich wieder darauf und lernte Ernst Haas und seine Arbeiten kennen.

Diese Fotografie erzählt eine berührende Geschichte, die wir sofort verstehen, auch wenn wir nichts darüber wissen. Klein und unscheinbar wird die Mutter an den Bildrand gedrängt und dennoch wird unser Blick durch eine gekonnte Bildkomposition und eine geglückte Schärfeneinstellung auf sie gelenkt. Als Betrachter können wir die Hoffnung und Verzweiflung dieser Mutter mitfühlen, welche wir in ihrem Blick zu lesen glauben. Die Fotografie in ihrer Hand, welche sie dem vorbeigehenden Mann entgegen hält, verrät, dass sie auf der Suche ihres vermissten Sohnes ist, welcher als Soldat in Uniform seine Mutter verlassen musste. Wer kennt ihn, wer hat ihn gesehen, wo ist er? Der Mann, den sie mit grossen Augen hinter ihren Brillengläsern erwartungsvoll anstarrt, beachtet sie nicht. Achtlos geht er an ihr vorbei, auf der Suche nach seinen eigenen Angehörigen.

Der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Am Wiener Südbahnhof wird die Ankunft von heimkehrenden Soldaten aus russischer Gefangenschaft erwartet. Die Züge treffen sporadisch und ohne Anmeldung aus dem Osten ein. Wohl zu Tausenden strömten die Frauen zum Bahnhof auf der Suche nach ihren Männern, Verlobten, Söhnen und Brüdern. Unter ihnen der Fotograf Ernst Haas. Er machte Porträts, fotografierte die Massen, erkannte Details. Umarmungen, Küsse und Tränen. Herzzerreissende Wiedersehensszenen, aber auch Enttäuschungen. *1

«Ich wollte die Frau als den wirklichen unbekannten Soldaten zeigen», sagte der in Wien geborene Ernst Haas. «Sie leidet im Krieg am meisten und niemand berichtet über sie oder ehrt sie mit Feierlichkeiten. Stets bleibt sie im Hintergrund.» Nein, er habe nie mit einer der wartenden Frauen gesprochen. «Wenn man mit ihnen redet, kommt es einem zu nahe.» *2

Ernst Haas war 24 Jahre alt als er 1945 diese Fotografie machte. Wahrscheinlich ahnte er nicht, dass mit dieser Aufnahme eine grosse Karriere als Fotograf begann. Nach einem abgebrochenen Medizinstudium studierte er Photographie an der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. Als freier Fotojournalist konnte er einige seiner Aufnahmen in der amerikanischen Besatzerzeitschrift «Heute» publizieren. Dies brachte ihm die Aufmerksamkeit vom renommierten «Life Magazine» in New York. Mit dem Wiederabdruck 1949 im «Life Magazine» wurde Ernst Haas weltbekannt. Er erhielt eine Einladung von Robert Capa, dessen neu gegründete Fotoagentur Magnum beizutreten, was er 1950 tat. Er wurde zu einem der meistpublizierten und bedeutendsten Fotografen des 20 Jahrhunderts.

*1 aus «Stunde Null: Ernst Haas sieht Wien in Trümmern» erschienen in der Zeitung Frankfurter Allgemeinen am 16.03.2005
*2 aus «Eine neue Zeit... 1944 - 1960», Meisterwerke internationaler Photographen, DuMont 1985
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