December 13, 2015 / erstellt am:  December 13, 2015
aufgefallen, gefallen, Literatur, Weiterbildung

Ich verstehe nur Bahnhof

Oft habe ich mich darüber geärgert, wenn ich Texte lesen musste, die in derart komplizierter Sprache geschrieben sind, dass ich sie kaum verstehen konnte. Wie zum Beispiel der Folgende:

Kommunikation ist Interaktion in symbolischer Vermittlung und impliziert faktisch, genau wie Interaktion, auch ein Herrschaftsverhältnis interagierender und kommunizierender Menschen. Spracherziehung ist daher als ein Bereich der Erziehung zum sozialen Handeln zu betrachten; wobei der Begriff des sozialen Handelns verstanden wird in Abgrenzung zum einen vom blinden Befolgen vorgegebener Rollennormen, zum anderen von individuell willkürlichem Verhalten. Um auf der Grundlage von Rationalität und in kommunikativer Gemeinschaft mit anderen solidarisch handeln zu können, muss der einzelne Sprache nicht nur als Medium der Artikulation analytisch-kognitiver Prozesse einsetzen, sondern gleichzeitig als Mittel reflexiver Kommunikation über soziale Beziehungen selber sowie zur Interpretation und Kommunikation subjektiver, eigener wie fremder Intentionen und Bedürfnisse. Dieses erfordert neben der Beherrschung verschiedener Sprachcodes Sensibilität für die verschiedenen Nuancen der sprachlichen Pragmatik implizierten Bedeutungsgehalte.

Dieses und andere Beispiele fand ich im Buch «Miteinander reden 1» von Friedemann Schulz von Thun. Er behauptet, dass man Informationstexte aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens in ihrer Verständlichkeit verbessern kann und zwar so, dass am Informationsziel keine Abstriche gemacht werden und liefert den folgenden Beweis zum ersten Beispiel:

Kommunikation bedeutet: Mit Worten oder anderen Zeichen aufeinander reagieren und aufeinander Einfluss nehmen; und das heisst auch: Herrschaft ausüben. Damit ist Spracherziehung auch immer eine Erziehung dazu, wie man mit anderen Menschen umgeht, eine Erziehung zum sozialen Handeln. Wie soll nun das soziale Handeln aussehen? Und worauf muss man bei der Spracherziehung achten, um das Ziel zu erreichen?

Erziehungsziel «Soziales Handeln»: Nicht blind alles tun, was die anderen von einem wollen. Aber auch nicht nur tun und lassen, was man selbst will. Sondern: sich mit anderen vernünftig auseinandersetzen und dann solidarisch handeln.

Aufgabe der Spracherziehung: Sprache darf nicht nur dazu da sein, Gedanken in Worte zu kleiden. Sondern dass man auch mal darüber spricht: «Wie gehen wir eigentlich miteinander um?» Und: «Was sind eigentlich die Absichten und Bedürfnisse, die bei mir und anderen dahinterstecken?»
Dazu muss man auch andere verstehen lernen, die sich anders ausdrücken als man selbst. Und man muss eine feine Antenne entwickeln, um besser mitzukriegen, was wirklich gemeint ist, wenn Leute etwas sagen.

Und plötzlich verstehe ich, worum es geht. Friedemann Schulz von Thun schreibt: Nie weiss man so ganz genau, ob die mangelnde Allgemeinverständlichkeit «in der Natur der Sache» begründet liegt, ob eine unterentwickelte Kommunikationsfähigkeit der Autoren vorliegt oder ob ein Stück Imponiergehabe der Fachleuchte eine Rolle spielt, das auf die Ehrfurcht des unkundigen Empfängers abzielt. Informationstexte unterscheiden sich voneinander vor allem in vier «Dimensionen der sprachlichen Gestaltung»:

1. Einfachheit (Gegenteil: Kompliziertheit)
2. Gliederung - Ordnung (Gegenteil: Unübersichtlichkeit, Zusammenhanglosigkeit)
3. Kürze - Prägnanz (Gegenteil: Weitschweifigkeit)
4. Zusätzliche Stimulanz (Gegenteil: keine zusätzliche Stimulanz)

In Zusammenhang mit meiner Grundausbildung und Einstieg in die Erwachsenenbildung (SVEB-Zertifikat, Modul 1) entstand der folgende Literaturtipp:

Das Buch «Miteinander reden 1» ist der erste Band der Trilogie «Miteinander reden 1 - 3» und wurde 1981 erstmals im Rowohlt Verlag als Taschenbuch publiziert. Es gilt heute als Standardwerk der Kommunikationspsychologie. Mit einer Auflage von 1,3 Millionen und zahlreichen Übersetzungen fand es eine weite Verbreitung. Der Autor, Friedemann Schulz von Thun (geboren 1944), ist Psychologe, Kommunikationswissenschaftler und war Hochschullehrer im Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg (1975 - 2009). Er gründete 2006 das «Schulz von Thun-Institut für Kommunikation» um seine Kommunikationslehre auch nach dem Ausscheiden aus der Universität einen Ort der Verbreitung und Weiterentwicklung zu geben.

Warum also ein Buch vorstellen, das alle bereits kennen? Oder zumindest vom Inhalt, dem Kommunikationsquadrat, schon gehört haben? Weil es sich aus mehreren Gründen lohnt zu lesen, wie ich finde:

- Durch die Einfachheit in der sprachlichen Formulierung, durch die Gliederung und Ordnung im Aufbau des Textes, in der Kürze und Prägnanz der Aussagen ist das Buch einfach und gut verständlich lesbar
- Viele Beispiele, Übungen und Illustrationen als zusätzliche Stimulanz machen Theorie zum Lesevergnügen
- Die wiederholte Auseinandersetzung bringt Vergessenes wieder zum Vorschein.
- Zur Verbesserung der eigenen Kommunikation (Wer Kommunikation versteht, kommuniziert besser)
- Zur Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen (und Stärkung der Persönlichkeit)
- Zur Aufdeckung von Kommunikationsstörungen (und deren Klärung)
- Als psychologisches Handwerkzeug im Beruf und Alltag
- Als Einführung in die Kunst der Metakommunikation

Kurz zum Inhalt (auch für diejenigen, die es bereits gelesen haben): In diesem Buch wird ein Modell beschrieben, welches die zwischenmenschliche Kommunikation erklärt: Das Kommunikationsquadrat. Ein Quadrat besteht aus vier gleich langen Seiten. Kommunikation besteht aus vier gleichwertigen Aspekten:

Sachaspekt: Wie kann ich Sachverhalte klar und verständlich mitteilen?
Beziehungssapekt: Wie behandle ich meinen Mitmenschen durch die Art meiner Kommunikation?
Selbstoffenbarungsaspekt: Was gebe ich von mir selber preis, wenn ich kommuniziere?
Appellaspekt: Was will ich bewirken oder erreichen mit meiner Kommunikation?

Diese vier Aspekte der Kommunikation gliedern auch den zweiten Teil des Buches, wo auf ausgewählte Probleme der Kommunikation eingegangen wird. Eindrücklich fand ich im Bereich «Sachebene» das Kapitel, wo es um die Verständlichkeit einer Nachricht geht. Hier wird bewiesen, dass alle Sachverhalte, und seien sie noch so kompliziert, einfach und verständlich kommuniziert werden können.

Der dritte und letzte Teil ist ein Nachwort für Psychologen und für alle, die mit Psychologie in Berührung kommen. Der Autor schrieb dieses Buch nicht nur für Psychologen. Sein Anliegen war es, ein Buch über Kommunikation so zu schreiben, dass es von allen gelesen und verstanden werden kann.

Auch nach langem Suchen, habe ich keine Schwächen in diesem Buch entdeckt und kann es vollumfänglich weiterempfehlen.

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