March 14, 2017 / erstellt am:  March 14, 2017
aufgefallen, gefallen, Typografie, Schrift

Die Grenzen der Lesbarkeit und des guten Geschmacks

Wenn man zu einem Text dazuschreiben muss, was geschrieben steht, ist irgend etwas falsch - oder? Nicht unbedingt. Die Lesbarkeit von Typografie ist vor allem bei Fliesstexten oberstes Gebot. Wenn ich einen Text nicht richtig lesen kann, lege ich ihn schnell beiseite. Es sei denn eine Schrift wird zu einem Bild, das ich gerne anschaue, weil es mich fasziniert. Dann bin ich gerne bereit, den Text zu enträtseln. So erging es mir bei «The good, the bad and the ugly».

Bei «Liquid Typography» untersucht die visuelle Gestalterin Marina Saanishvili die Grenzen der Lesbarkeit. Entstanden ist dieses Projekt im Rahmen des Typoclubs an der Hochschule der Künste in Bern. Der Typoclub des Fachbereichs «Gestaltung und Kunst» ist Forum und Werkstätte für Schriftgestaltung und Schriftanwendung.

«Die Arbeit von Marina Saanishvili thematisierte mit poetischem Ansatz die analogen Veränderungsmöglichkeiten von Schrift. Das Setup führte mit fotografischen Mittel Schrift und Flüssigkeit zusammen, ohne dass sie beide dabei berührten. Auf einer über der Schrift liegenden Glasplatte wurden Wasser, Öl, Lauge, Salz und Zucker in wechselnden Verhältnissen so kombiniert, dass sie die Buchstaben- und Textformen in immer neuer Weise zu beeinflussen vermochten.» (Typoclub)

Ich bin davon ausgegangen, dass es eine Schrift ist, die man (auf mir unerklärliche Weise) auf dem Computer tippen kann. Ein Font also (digital reproduzierbare Bildschirmschrift bzw. Druckschrift). Ich hätte gerne gewusst, wie das funktionieren kann. Insofern war ich etwas enttäuscht, als ich nach meiner Recherche feststellen musste, dass es sich nicht um einen Font handelt, sondern um ein einzelnes Schriftbild. Daraus einen Font zu gestalten, stelle ich mir ziemlich schwierig vor, da jeder Buchstabe anders ist und sich in Wasserblasen benachbarte Buchstaben spiegeln. Es wäre eine knifflige Aufgabe für einen Programmierer, daraus einen funktionierenden Font zu gestalten.

Bei «The good, the bad and the ugly» handelt es sich nicht um den gleichnamigen Spaghetti-Western mit Clint Eastwood, sondern um eine Einladung für eine Vortragsreihe des Typoclubs an der Hochschule der Künste in Bern. Die Vortragsreihe stellt die Frage nach der Relevanz des Geschmacks im Design und in der Typografie.

«Was ist guter Geschmack? Gestaltung im Spannungsfeld zwischen Funktion und Formalismus – wo verläuft die Grenze? Wie wird unser Geschmack durch die kulturelle Herkunft, unser soziales Umfeld und unsere Erinnerungen beeinflusst und wie verändern sich unsere Vorlieben im Laufe der Zeit?»

Die Frage des Geschmacks beschäftigt zwangsläufig jede Gestalterin und jeden Gestalter, weil sie und er täglich damit konfrontiert werden. Vor allem dann, wenn unterschiedliche Geschmacksvorstellungen aufeinander treffen. Dabei ist die Geschmacksfrage oft irrelevant. Auch Hässliches kann schön sein. Wichtig ist jeweils, dass es zum Thema passt. Vielleicht hätte ich früher das Schriftbild von Marina Saanishvili noch als hässlich empfunden, weil die Lesbarkeit eingeschränkt ist. Heute kann ich Gefallen daran finden, weil es eben gerade die Grenzen der Lesbarkeit auslotet. Und vor allem weil dieses Schriftbild sehr gut zum Thema dieser Vortragsreihe passt.

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