July 16, 2018 / erstellt am:  September 14, 2018
aufgefallen, gefallen, Ausstellung, Kunst, Erlebnis

Ein bewegendes Kunsterlebnis der anderen Art

Wie so oft bei moderner Kunst, hatte ich von Philippe Parreno noch nie etwas gehört oder gesehen bis ich in Berlin seine Einzelausstellung «immersion» im Gropius Bau besucht hatte. Das Plakat zur Ausstellung hätte mich nicht zu einem Besuch angeregt, aber ich wusste aus eigener Erfahrung, dass der Gropius Bau für besondere Ausstellungen bekannt ist. Wer wachsam und mit einer gewissen Offenheit die Ausstellung betritt, kann Einiges entdecken und erleben. Ein Erlebnis für alle Sinne, welches die Grenzen des Kunstbegriffs sprengen, je nach dem was man bisher als Kunst verstanden hatte.

«Parreno definiert das Ausstellungserlebnis völlig neu, indem er es als eigenständiges Medium begreift und in den Mittelpunkt seines Schaffensprozesses stellt.» (aus dem Begleitheft der Ausstellung)

Es sind Rauminszenierungen die speziell für die Räume des Gropius Baus entworfen wurden. So interpretiere ich den Titel der Ausstellung «immersion» als das Eintauchen in eine andere Realität.

«In einer abgedichteten Koje befindet sich ein Bioreaktor - ein Becherglas, in dem sich Mikroorganismen vermehren, mutieren und ihrer Umgebung anpassen. Die Hefekulturen darin sind mit Rechnern verbunden, die das Geschehen in der Ausstellung steuern.»

Ganz schön viel Technik, die sich kaum sichtbar im Hintergrund befindet. Was so einfach daherkommt, ist mit viel Aufwand verbunden. Was da mit diesen Hefekulturen genau gesteuert wird, fand ich nicht heraus, wollte ich aber auch gar nicht herausfinden, sondern mich einzig und alleine auf das Geschehen einlassen. So änderten sich zum Beispiel in gewissen Räumen die Lichtverhältnisse durch Rollos, die sich automatisch rauf und runter bewegten, wie von einer unbekannten Instanz gesteuert. In der Unregelmässigkeit der Bewegungen konnte ich kein Muster erkennen. Es regiert das Zufallsprinzip. Oder Live-Klänge von irgendwo in oder ausserhalb der Stadt sickern ein und verbreiten sich von einem Raum zum nächsten.

«Abgesunkene Klänge kommen wieder an die Oberfläche des Wasserbeckens im Lichthof und werden in visuelle Muster von Seerosen umgewandelt.»

Der Einfluss von Wissenschaft und Technik ist ja besonders heute wieder sehr en vogue in der Kunst, hält sich aber bei Philippe Parreno zum Glück wohltuend im Hintergrund. Wer mehr über den Bioreaktor und seine Funktionsweise wissen will, kann dies bestimmt googelnd erfahren.

Fasziniert war ich hingegen von den Ballonfischen, die sich frei in einem lichtdurchfluteten Raum bewegten. Erst bei genauerem Hinschauen entdeckte ich ein ausgeklügeltes Lüftungssystem, welches die Ballonfische im Raum in Bewegung hielt. Ich fühlte mich wie in einem künstlichen Aquarium gefüllt mit Luft statt Wasser. Das langsame Schweben der mit Helium gefüllten Fischballone wirkte poetisch und versetzte mich in eine meditative Stimmung. Lustig zu sehen war, dass gewisse Ballone den Weg in andere Räume fanden, welche das Aufsichtspersonal wieder einfangen und zurückbringen musste. So wurde das Aufsichtspersonal zu Fischern, was wohl auch noch nie vorgekommen ist.

Auch die gezeigten Videos «Anywhen» und «The Crowd» hatten eine meditative Wirkung und führten mich als Betrachter in eine fremde Dimension, die nichts mit der bisher bekannten Realität zu tun haben scheint. Ich erkannte zwar gewisse Objekte, die sich aber losgelöst vom üblichen Kontext bewegten.

Trotz geschärfter Aufmerksamkeit verpasste ich gewisse Inszenierungen. Erst im Nachhinein lass ich im Begleitheft, dass die grossen Steine, die  kreisförmig in einem Raum angeordnet sind, sich angeblich ab und zu bewegten, wie von Geisterhand gesteuert. Diese geheimnisvolle Wirkung scheint ein zentrales Thema des Künstlers zu sein. Ursache und Wirkung sind für den Besuchenden nicht ergründbar. Angeblich sollten die grossen Steine sogar noch sprechen. Bei mir haben die «Speaking Stones» jedoch geschwiegen, aber vielleicht war ich einfach zu ungeduldig oder die Mikroorganismen haben zeitweilig versagt. Auch die drastischen Temperaturschwankungen in einem anderen Raum habe ich nicht wahrgenommen. Meine Aufmerksamkeit scheint doch weniger gross zu sein, als ich gerne hätte.

Über Philippe Parreno habe ich in der Ausstellung und auch im Begleitheft nichts erfahren. Ausser, dass er ein französischer Künstler ist. Aber vielleicht ist das gar nicht wichtig, wer dieser Philippe Parreno ist. Im Zentrum stehen seine Rauminszenierungen und nicht er als Künstler, was eine wohltuende Abwechslung in der Kunstwelt ist.

Die Frage, was das Ganze denn soll, stellt sich nicht. Kunst hat keinen Zweck zu erfüllen, ausser vielleicht, dass es den Betrachter erfreut oder ärgert, je nach dem. Ein wahres Kunstspektakel, was nicht despektierlich gemeint ist. Ich jedenfalls war begeistert und um eine Erfahrung reicher.
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