February 26, 2010 / erstellt am:  February 28, 2010
aufgefallen, Film, Portraits, Fotografie, Kunst

Die Kunst der exakten Phantasie

Zugegeben ich hatte gewisse Widerstände und Vorbehalte, als ich den Film «Die Kunst der exakten Phantasie» von Beat Borter über den Fotografen und Lebenskünstler Heini Stucki begann anzuschauen. Natürlich war ich interessiert, einerseits über die Machart des Filmes. Wie macht man ein gelungenes Portrait über eine andere Person, so dass man ihr gerecht wird? Andererseits interessierte mich die Person Heini Stucki, als Person, aber auch als Fotografen und Künstler. Und da wäre ich bereits bei meinem Problem. Schon nur sein Anblick mit den wilden Haaren und dem wilden Bart lässt bei mir die Alarmglocken läuten: Achtung Klischees! Er sieht ja wirklich wie der Prototyp eines Künstlers aus. Ist er es nun wirklich, oder spielt er es nur? Er kann es sogar unbewusst spielen und meinen er sei so. Also konzentrierte sich meine Aufmerksamkeit zuerst nur auf dieses Vorurteil. Ebenso typisch wie sein äusserer Anblick passt der Umstand, dass er in einem chaotischen Umfeld lebt und arbeitet zum klassischen Bild eines Künstlers. Insofern wurde mein Vorurteil bestätigt, als man ihn in seinem chaotischen Atelier arbeiten sah.

Den Verdacht auf Klischeehaftigkeit hatte ich auch, als er über die Frauen begann zu erzählen. Ich befürchtete schon, dass es in eine Lobhudelei ausarten würde. Aber plötzlich änderte sich die Richtung seiner Gedanken in dem er das Weibliche in sich selber betonte, was mich aufhorchen liess. Je länger der Film dauerte, desto mehr entdeckte ich Parallelen zu mir. Auch er ist ständig auf der Suche nach der guten Fotografie und einige gute Exemplare werden im Film sehr schön in Szene gesetzt. In seinem Archiv setzt er sich mit seinem bisherigen Werk auseinander, sortiert, wirft weg, und blickt zurück auf die Spuren seiner Suche. Seine Fotografie hat oft etwas Dokumentarisches. Die paar wenigen Momente, wo es um seine eigene Verletzlichkeit, sein Alter und seine dunklen Seiten ging, wurde er mir sogar richtig sympathisch. Das mag aber auch einfach daran liegen, dass mir Männer nur sympathisch sind, wenn sie Schwächen von sich zugeben können, weil sie sonst immer nur ihre Stärken betonen. Sein archeologisches Interesse teile ich nicht mit ihm, kann aber gut verstehen, dass diese Motivation sein künstlerisches Schaffen prägt. Seine Nähe und Liebe zur Natur ebenfalls. Auf seinen Bildern erblicken wir nicht nur das Antlitz, sondern erkennen die Seele eines Menschen. Ein schöner Satz zwar mit poetischer Ausstrahlung aus einer Filmbesprechung, aber ziemlich nichts sagend, da entweder jede Portraitfotografie etwas über die Seele aussagt, oder eben keine, da Seele schon an und für sich ein schwammiger Begriff ist.  

Mein Fazit: Der Film ist ein sehr schönes, feinfühliges und intimes Portrait über einen talentierten Fotografen und eine spannende Persönlichkeit. Allfällige Fragen vom Filmemacher werden nicht gezeigt. Der Filmemacher lässt den Portraitierten selber erzählen. Dadurch ist es geradezu unmöglich alle Facetten eines Menschen in einem Film unterzubringen. So fehlten zum Beispiel seine Selbstzweifel und seine Irrtümer, die er als Charakter mit Ecken und Kanten bestimmt auch hat. Einerseits habe ich das Gefühl, dass er sehr stark in sich ruht und aus sich selber schöpft, andererseits lebt er ein typisches Künstlerklischee: frei, chaotisch, wild, unabhängig, bescheiden. Ich glaube sogar, dass er so ist und keine Rolle spielt, die Rolle des Künstlers eben. 
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