September 27, 2019 / erstellt am: October 5, 2019 aufgefallen, gefallen, Fotografie
Lob und Tadel
Aus den Augen, aus dem Sinn. Weggesperrt und vergessen. In der Dämmerung wirken die hohen Mauern noch bedrückender und unüberwindbarer. Ein Verkehrsschild verbietet das Parken, jedoch nicht das kurze Halten. Innehalten zum kurz Nachdenken. Das Licht des Eingangs fokussiert den Blick auf vier Gestalten, die den Eingang betreten. Gut erkennbar als Samichlaus mit Schmutzli, wie St. Nikolaus und Knecht Ruprecht in der Schweiz genannt werden. Über dem Eingang steht «Justizvollzugsanstalt Pöschwis». Auf den ersten Blick vermag die Fotografie zu irritieren. Erwartet man Samichlaus und Schmutzli doch nicht in einem Gefängnis. Aber warum eigentlich nicht?
«Seit 30 Jahren besuchen Chläuse der St. Nikolausgesellschaft Zürich in der Adventszeit die Gefangenen in Regensdorf. Eindrücklich, wie höflich die erwachsenen Männer dem Samichlaus begegneten und ihn als Respektsperson akzeptierten.» steht im Jahresbericht der Justizvollzugsanstalt Pöschwies. Der Samichlaus liest den Häftlingen nicht etwa einzeln die Leviten, obwohl es dazu ja allen Grund gäbe. Vielmehr erzählt er eine allgemeine Geschichte und verteilt Grittibänze. 70 Prozent der Gefangenen sind Ausländer und haben zum Teil kaum einen Zugang zu diesem Brauch. Trotzdem ist es eine Tradition, die bei den meisten gut ankommt.
«Die Situation der Häftlinge ist für diese belastend und die Anstaltsroutine eintönig. So ein einmaliges Ereignis bietet eine Abwechslung und kann auch zum Nachdenken anregen. Zudem sind solche Anlässe auch ein Zeichen der Wertschätzung für das doch überwiegend kooperative Verhalten der Gefangenen und beeinflussen die Gefängnisatmosphäre positiv, was dann auch wieder meinen Mitarbeitenden zu gute kommt.» sagt Andreas Naegeli, Direktor Justizvollzugsanstalt Pöschwies.
Nicht nur inhaltlich, sondern auch formal überzeugt die Aufnahme. Klare Linien verweisen auf einen bewussten Gestaltungswillen. Zurecht, wie ich finde, hat die Fotografie vom Zürcher Pressefotografen Christian Merz den Swiss Press Award 2019 in der Kategorie Alltag gewonnen.
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