November 28, 2012 / erstellt am:  November 28, 2012
aufgefallen, gefallen, Film, Fotografie, Bildbetrachtung, DVD

Was Fotografien über ein Land (und seine Bewohner) erzählen

So viel und schnell heute fotografiert wird, so schnell und flüchtig werden Fotografien betrachtet. Ein kurzer Blick, erkennen, was fotografiert wurde und gleich weiter zur nächsten Fotografie. Kaum ein Gedanke wird daran verloren. Anders verhält es sich bei Fotografien, die in einer Ausstellung gezeigt werden. Hier lässt sich der Betrachter schon etwas mehr Zeit. Aber erst durch das Formulieren der Gedanken werden sie konkret und machen die Interpretation fassbar. Sich Zeit nehmen und eine Fotografie oder eine Serie von Fotografien genau betrachten, sich Gedanken machen, was man sieht und diese dann auch in Worte zu fassen, darum geht es bei den 20 Kurzfilmen (zwischen 5 - 6 Minuten pro Film) auf der DVD «Belichtete Schweiz» von Heinz Bütler und Peter Pfrunder.

Mehr oder weniger bekannte Schweizer Persönlichkeiten betrachten Fotografien und formulieren ihre Gedanken, Gefühle und Assoziationen dazu. Die Fotografien aus unterschiedlichen Zeitepochen stammen aus der Sammlung der Fotostiftung Schweiz deren Direktor und Kurator Peter Pfrunder ist. Heinz Bütler war zuständig für die filmische Umsetzung der Befragungen.

Wie die Auswahl der Fotografien zustande kam, erfährt man im Begleittext ansatzweise: Man verzichtete auf bekannte Klassiker der Schweizer Fotografiegeschichte und wählte Fotografien bei denen die Brechungen der Realität unübersehbar sind. Schön formuliert aber nicht sofort verständlich. Was sind Brechungen der Realität? Aber auch wenn der Kurator mit schönen Worten seine persönlichen Vorlieben rechtfertigen will, machen sie neugierig. Gemeinsames Thema aller ausgewählten Fotografien ist die Schweiz. Weil die Fotografien zu verschiedenen Zeiten in der Schweiz entstanden sind und somit ein Bild der Schweiz zeigen - «Belichtete Schweiz» eben. Vielleicht ein etwas anderes Bild der Schweiz, das nicht den gängigen Klischees entspricht. Entstanden sei eine visuelle und gedankliche Annäherung an helvetische Befindlichkeiten, wie es im Werbetext geschrieben steht. Es sind jedoch Fotografien, die Spezielles, Aussergewöhnliches und Besonderheiten zeigen. Insofern geht es um besondere Befindlichkeiten, was mit Brechungen der Realität gemeint sein könnte.

Auch über die Auswahl der Betrachterinnen und Betrachter wird wenig bekannt. Prominenz garantiert eine gewisse Aufmerksamkeit. Immerhin scheinen die Ausgewählten in einem Zusammenhang zu den ihnen zugeteilten Fotoserien zu stehen und nicht nur weil sie prominent sind. So erzählt zum Beispiel Dieter Meier etwas über Fotografien (von Karlheinz Weinberger) von Halbstarken aus den Fünfzigerjahren, da er selber in dieser Zeit aufwuchs. Oder die Chefärztin Brida von Castelberg, die sich ein Leben lang medizinisch mit dem menschlichen Körper befasste, interpretiert Fotografien (von Juraj Lipscher) von Räumen, in denen sich alles um den Körper dreht: Gebärsaal, Schönheitssalon, Fitnesscenter, Bordell, Krematorium.

Das interessante an diesem Projekt ist aber, dass es sowohl etwas über die Schweiz, die Fotografie aber auch über die Betrachterinnen und Betrachter aussagt. Auch wenn alle reden, haben nicht alle wirklich etwas zu sagen. Dann bleibt es bei Spekulationen, Vermutungen oder Behauptungen. Zum Glück sprechen die Fotografien dann für sich selber und wir haben uns während der Dauer des Kurzfilms uns die Zeit genommen sie zu betrachten. Andere können ihr Wissen zum Beispiel als Historikerin oder Historiker in ihre Betrachtungen miteinfliessen lassen und andere gehen grundsätzlich nur von sich selber aus.

Spontan und unvorbereitet seien die Äusserungen entstanden. Erst der Schnitt fügte geglückt Formuliertes zusammen und liess Unbrauchbares bei Seite. Aber wie spontan waren diese Äusserungen wirklich? Oder steckte da nicht mehr Vorbereitung und Vorwissen dahinter? So ist den Fotografien mit Ferdinand Hodler (von Gertrud Dübi-Müller) kaum anzusehen, dass sie einen Tag vor seinem Tod entstanden sind, was Endo Anaconda zu erzählen weiss und am Schluss von einer allwissenden Stimme aus dem Off bestätigt wird.

Aber dennoch ist eine vielschichtige, spannende und empfehlenswerte Ansammlung von Kurzfilmen entstanden, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit Fotografie zeigt und sie dementsprechend würdigt.

Es besteht natürlich die Gefahr als besserwisserisch zu gelten, wer uns Fotografien erklären will. Klugscheisser würde man dem auch sagen. Und vielleicht deshalb schaffte es eine Fotografie von Andri Pol als Titelbild auf die Verpackung der DVD: Eine Kuh wandert über eine Wiese, die mit weissen Linien in viele Quadrate unterteilt ist. Eine irritierende Aufnahme, wenn man nicht weiss, dass es sich um Kuhlotto handelt. Eine Attraktion am 1. August in Bad Zurzach: Wo landet der Kuhfladen?
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