March 7, 2015 / erstellt am:  March 7, 2015
Grafik, Gestaltung, Verfremdung / Bewertung: 8

Die stille Evokation des Wissens

Was haben ein Joghurtdeckel und eine Produktdatenetikette für Zitronensaft (oder wie nennt man so etwas?) mit dem Buch «Vor dem Fest» von Saša Stanišić zu tun? Die Kombination dreier Elemente, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, schafft Irritation. Wer lange genug sucht, findet immer eine Verbindung. Voraussetzung ist, dass man das Buch kennt. Auch wenn es sich nicht um eine Interpretation in herkömmlichen Sinne handelt, könnten assoziative Zusammenhänge geknüpft werden. Assoziationen gehen immer. Aber vielleicht entstand diese Kombination auch einfach nur aus Freude an der Verfremdung und aus dem Zufall, dass ich dieses Buch gerade lese. Verfremdungen gehen immer. Die fiktive Vergrösserung auf das Format 150 x 200 cm wäre eine weitere Form der Verfremdung. Dass mir das Buch und vor allem die Sprache von Saša Stanišić gefällt, lassen meine bildlichen Spielereien zu einer Hommage werden. Auch eine Hommage geht immer. Erst recht zu seinem Geburtstag, was einem weiteren Zufall entspricht.

Der etwas aufgeblasene Titel «Die stille Evokation des Wissens» spielt mit diesem Umstand, dass wir ständig nach Verbindungen und Interpretationen suchen und dabei unser Wissen durchforsten oder neu aneignen und ist gleichzeitig ein Zitat von Burkhard Spinnen, einem deutschen Germanisten und Soziologen, der 2005 in der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises sass, anlässlich einer Lesung von Saša Stanišić.

Vielleicht sollte der Titel eher «Die stille Evokation des Zufalls» heissen. Obschon behauptet wird, dass es Zufälle gar nicht gibt weil alles kausal erklärt werden kann. Alles basiere auf physikalischen und metaphysischen Gesetzmässigkeiten. Und dennoch erscheint es mir wie ein Zufall, dass Saša Stanišić einige Tage nach Entstehung der Bilder, anlässlich des Literaturfestivals «Literaare» in Thun, eine Lesung hielt.

Die fotografische Ausbeute war mager. Wahrscheinlich hat er gespürt, dass ich ihn während der Lesung fotografierte und sah deshalb nie in meine Richtung. Und wenn doch, dann war ich zu langsam. Oder er verzog den Mund, dass ich das Ergebnis im Nachhinein als unvorteilhaft aussortierte. Oder meine Ansprüche an gute Fotografie sind einfach zu hoch. Die Frage, ob er irgend einen Zusammenhang zwischen seinem Roman und einem Zitronenjoghurt sieht, wagte ich mich ihn dann doch nicht zu stellen.

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