May 16, 2014 / erstellt am:  May 16, 2014
Grafik, Plakat, Ausstellung / Bewertung: 9

Fernes Donnergrollen und andere Geräusche

Es ist geradezu naheliegend bei einem Plakat für eine Literaturausstellung mit rein typografischen Mitteln zu arbeiten. Literatur besteht aus Buchstaben, Wörtern und Sätzen, die eine Geschichte erzählen. Die Bilder dazu entstehen in unseren Köpfen.

Es geht um einen heutigen Blick auf die Schweizer Literatur vor und während dem Ersten Weltkrieg. Dementsprechend soll das Plakat heutig wirken. Es ist schon schwierig genug das Publikum für diese vergangene Zeit begeistern zu können. Was interessiert uns heute noch, was vor hundert Jahren geschehen ist? Welche Relevanz hat Literatur aus jener Zeit heute noch? Wurde nicht bereits alles darüber erforscht und berichtet? Oder gibt es noch Neues zu entdecken? Oder Vergessenes und Verdrängtes wiederzuentdecken und neu zu beurteilen? Für die Ausstellung im Museum Strauhof in Zürich wurde der Fokus noch auf Deutschschweizer Literatur beschränkt, weil Literatur aus der Romandie und dem Tessin nicht berücksichtigt wurde.

Meine ersten Entwürfe wurden vom 5-köpfigen Gremium bestehend aus Kuratoren, Historikern, Literaturwissenschaftern und Szenografen aus unterschiedlichen Gründen allesamt abgelehnt. Und so suchte ich zwar ohne klares Briefing aber mit unzähligen Anregungen und Meinungen nach einer neuen Lösung. Eine echte Herausforderung. Wichtig war mir dabei, dass es in erster Linie um Literatur gehen sollte und nicht um eine historische Ausstellung zum Ersten Weltkrieg. Das heisst, dass ich auf kriegerische oder allzu militärische Sujets verzichten wollte. Die Schweiz war nicht direkt am Krieg beteiligt. Sie war mittendrin und schaute gebannt über die Grenzen und vernahm ein fernes Donnergrollen, was zum prägnanten Titel der Ausstellung wurde. Diese Stimmung wollte ich auf dem Plakat darstellen.

«Die Schweiz hörte das Donnergrollen der Kanonen nur von fern. Dennoch war sie auf vielfältige Weise vom Krieg betroffen: Die Gräben zwischen Deutsch und Welsch, zwischen Besitzenden und Arbeiterschaft drohten das Land zu zerreissen.

Der grössere Teil der Autorinnen und Autoren schrieb an diesen Problemen vorbei. In einer vermeintlichen Keller- oder Gotthelf-Nachfolge widmeten sie sich der bäurischen und kleinbürgerlichen Welt. Eine konservative Literaturkritik war sogar der Meinung, Literatur dürfe nicht auf Zeitprobleme eingehen. Doch nicht alle Autoren teilten diese Auffassung.

Der Ausbruch des Krieges führte zuerst zu einer kriegstrunkenen Lyrik. Später, als die erste Begeisterung vorbei war, entstand der «Grenzwachtroman», der die Wehrmänner vom Sinn des Grenzdienstes überzeugen wollte.

Das Bild des «fernen Donnergrollens» kennzeichnet auch das Verhältnis des Bürgertums zur Arbeiterschaft. Die Ansprüche der Arbeiterbewegung wurden als Bedrohung empfunden. Nur wenige politisch aufmerksame Autoren waren bereit, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Sie taten dies aus bildungsbürgerlicher Sicht, das heisst, sie appellierten an Idealismus und Versöhnung.»


Durch die Verwendung vorwiegend typografischer Mittel wird Schrift zum Bild. Schwarze Buchstaben, die ineinander verschmelzen werden hinter einem grünen Horizont als unmittelbare Bedrohung spürbar. Dabei ist ihre Lesbarkeit unwichtig, sogar notwendig um den lesbaren Titel nicht zu konkurrenzieren. Dennoch wiederholen sich dieselben Formen und stellen so einen Bezug zum Titel dar.

Im Titel «Fernes Donnergrollen» wird eine Frakturschrift einer serifenlosen Groteskschrift gegenübergestellt. Mit dieser eher ungebräuchlichen Kombination wollte ich auf die innere Zerrissenheit in der Schweiz hinweisen. Die Fraktur steht für das Alte, Konservative und Traditionelle. Sie war von Mitte 16. bis Anfang des 20. Jahrhunderts die meistbenutzte Druckschrift im deutschsprachigen Raum und wurde erst Ende 19. Jahrhundert von der Antiqua abgelöst. Die Grotesk, auch Sans Serif, ist eine aus der Antiqua abgeleiteten Schriftartenfamilie, bei der die Strichdicke der Buchstaben (nahezu) gleichmässig ist und die keine Serifen besitzt. Eine der ältesten Serifenlosen ist die Akzidenz-Grotesk, die ihren Anfang 1898 nahm. Sie steht für das Neue, Moderne und  Zukunftsorientierte. Der vergrösserte Anfangsbuchstabe von «Donnergrollen» erinnert auch an schmückende Initialen, wie sie im Buchdruck früher häufiger als Kapitelanfang verwendet wurden, und schlägt somit eine Brücke zur Literatur.

Über dem Titel und dem bedrohlichen Schriftbild in der Ferne schwebt die Silhouette eines Gasballons. In Anlehnung an den Schweizer Luftfahrtpionier Eduard Spelterini, steht dieses Motiv einerseits für die Aufbruchstimmung jener Zeit und andererseits für das Ausschauhalten, das In-die-Ferne-Blicken. «Die Sicht aus dem Ballon auf die so schöne Heimat, deren Bild von keinem Kriegsereignis getrübt wird oder sich von diesen als «Insel» abhebt, symbolisiert eine allgemeine mentale Haltung, die ein Teil der Deutschschweizer Literatur - und zwar der merkantil erfolgreichere Teil - unterstützt.» (Zitat Roman Hess, Leiter Ressort Literatur im Präsidialdepartement der Stadt Zürich) Gasballone wurden auch von der Schweizer Armee seit 1900 zur Aufklärung eingesetzt. «Der Ballon steht also nicht nur für privaten Eskapismus, sondern auch für eine Position der neutralen Wachsamkeit. Jedoch ist unklar, ob es sich um einen Schweizer Ballon handelt oder um einen Ballon einer kriegsführenden Truppe. Gehört der Ballon zur Drohkulisse oder erkundet er die bedrohliche Situation jenseits der Grenze? Fliegt der Ballon von hier nach dort, oder dringt er von aussen herein?» (Zitat Roman Hess)

Grafisch betrachtet bietet der Ballon als einzig «figürliches» Element im ansonsten typografisch dominierten Plakat einen reizvollen Kontrapunkt ohne zu stark vom Titel abzulenken. Der Ballon definiert den oberen Bereich des Plakates als «Himmel» und sorgte für viel Diskussionsstoff. Auch wenn er nur einen kleinen (unwesentlichen) Teil in der Ausstellung sein wird, wird es dennoch einen Wiedererkennungseffekt geben.

Im Hintergrund lenken «Lichtstrahlen» die Aufmerksamkeit auf den Titel. Sie strahlen aus einem Energiezentrum, das sich in den schwarzen Lettern bedrohlich konzentriert. Dieses Motiv erinnert an das berühmte Plakat von Harald Szeemans Monte Verità-Ausstellung, an die Postkarte «Schweiz als Friedensinsel», aber auch einfach nur an Sonnenstrahlen oder den Feuerschein der Artillerie. Dahinter ist in geschwungener Schrift ein Text in Frakturschrift bruchstückhaft zu lesen. Das Reizvolle daran ist, dass das Plakat dadurch sowohl eine Nah- wie auch Fernwirkung erzeugt. Aus der Nähe betrachtet ist der Text lesbar und wird aus der Ferne zur linearen Struktur, die durch die gewellten Linien an Wind erinnert. Aus der Nähe oder Ferne Betrachten sind Inhalt der Ausstellung, wie ich finde.
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