April 5, 2013 / erstellt am:  April 5, 2013
kreatives Schreiben, Schreibübung, Kurzgeschichte, Illustration / Bewertung: 7

Das Ereignis des Jahres

Es sollte das Ereignis des Jahres werden. Ein Ereignis über das man noch lange sprechen würde und vor allem sollte es dem historischen Museum zu besseren Besucherzahlen verhelfen. Diese waren in den letzten Jahren rückläufig. So sehr, dass die Stadtregierung bereits von Subventionskürzungen sprach. Ja, so ist das, wenn es einem Museum schlecht geht, werden ihm auch noch die Subventionen gekürzt, so dass es ihm noch schlechter geht. Die stetig steigenden Kosten und das fehlende Geld waren aber nicht der einzige Grund für diese geplante Sonderausstellung. Dem Museumsdirektor ging es auch darum den Ruf seines Museums über die Stadtgrenzen und am besten auch über die Landesgrenzen hinaus zu verbessern. Dass dies auch Auswirkungen auf ihn als Museumsdirektor eines relativ unbedeutenden Museums haben würde, versteht sich von selbst.

Im Zentrum der grossen Sonderausstellung zum Thema «Wa(h)re Werte» wollte man den grössten jemals gefundenen und somit auch den wertvollsten und schönsten Diamanten der Welt zeigen. Superlativen eignen sich besonders gut um aus einer Sonderausstellung ein Ereignis des Jahres zu machen. Zusehends wurde es schwieriger die Leute dazu zu bewegen ein Museum zu besuchen. Da musste man schon mit grosser Kelle anrühren und sich etwas Aussergewöhnliches einfallen lassen, was dieser Stein der Superlative zu versprechen schien. Ob der grösste und wertvollste Diamant auch tatsächlich der Schönste ist, sei dahingestellt. Aber eine weitere Superlative konnte nicht schaden. Die wahre Sensation war jedoch, dass dieser aussergewöhnliche Edelstein noch nie öffentlich gezeigt wurde. Er war angeblich im Besitz eines medienscheuen Unternehmers aus Südkorea, der nie die Absicht hatte, seinen wertvollen Besitz zu verkaufen und deshalb der effektive Wert des Steines nur geschätzt werden konnte. Wie viel er selber für den Kauf des 7000 Karat schweren Rohdiamanten ausgab, wurde nie bekannt. Allgemein wusste man nur sehr wenig über diesen einzigartigen Fund. Angeblich stammte der Rohdiamant aus einer Mine in Südafrika und wurde am 27. August 2007 entdeckt. Seine makellose Klarheit machte ihn besonders wertvoll. Er wurde später von einem unbekannten Diamantenschleifer in seine jetzige Form mit 248 perfekt symmetrischen Facetten zu einem 4275 Karat schweren Brillanten geschliffen. Dies entsprach ungefähr der Grösse einer geballten Faust. Wie es dazu kam, dass dieser südkoreanische Unternehmer sein Schmuckstück als Leihgabe für eine Sonderausstellung einem relativ kleinen Museum zur Verfügung stellte, blieb das Geheimnis des unbekannten Südkoreaners und des umtriebigen Museumsdirektors. In seinen Unterlagen hatte er einige Fotografien und eine schriftliche Zusicherung für die termingerechte Lieferung und ein Zertifikat, welches die Echtheit des Edelsteines beglaubigte.

Die Sicherheitsvorkehrungen mussten natürlich massiv erhöht werden, was wiederum sehr viele Kosten verursachte. Aber dem Museumsdirektor gelang es die regionale Bank als Hauptsponsoren und ein regionales Sicherheitsunternehmen als Nebensponsor zu gewinnen. Er war bekannt dafür über ein grosses soziales Netzwerk zu verfügen und mit seiner gewinnenden Art konnte er viele weitere Sponsoren zur Mitfinanzierung überzeugen. Sicherheitshalber wurde auch eine Versicherung gegen Feuer, Wasser und Diebstahl für die Dauer der Ausstellung abgeschlossen. Es wurde viel Aufwand betrieben auch was die Werbung betraf. Bereits Wochen vor der Eröffnung hingen in der ganzen Stadt Plakate und erschienen Inserate in allen regionalen und nationalen Zeitschriften und Zeitungen. Der grösste, schönste und wertvollste Diamant der Welt konnte zum ersten Mal von der Öffentlichkeit besichtigt werden. Diese Nachricht war es sogar einigen Fernsehstationen wert im voraus darüber zu berichten.

Das grosse Ereignis des Jahres wurde tatsächlich zu einer Sensation. Allerdings nicht so, wie man es erwartet hätte. Die Eröffnungsfeier war gut besucht mit viel geladener Prominenz und zahlreichen Pressevertretern. Wie bei einer Einweihung eines Denkmals wollte man den Diamanten feierlich enthüllen. Als der Museumsdirektor nach seiner Dankesrede und nach der Eröffnungsansprache des Stadtpräsidenten eigenhändig das weisse Tuch von der Glasvitrine wegzog, sah das verwunderte Publikum nur eine leere Glasvitrine im Scheinwerferlicht. Der Diamant war weg. Das dunkelrote Samtkissen auf dem er hätte liegen sollen war leer. Eine Blamage für das Museum und seinen Direktor und erst recht ein gefundenes Fressen für die anwesenden Journalisten.

Wie konnte das geschehen? Wie konnte dieser Diamant trotz aufwändiger Sicherheitsvorkehrungen gestohlen werden? Wer war Schuld an diesem Skandal? Auf allen Titelseiten der Tageszeitungen wurde am nächsten Tag darüber berichtet. Und auch im Radio und Fernsehen wurde darüber spekuliert, wer diesen Diebstahl geplant haben könnte. Die Ausstellung wurde nun erst recht zum Publikumserfolg, denn der Museumsdirektor entschied, die Sonderausstellung weiterhin geöffnet zu halten. Sogar die beleuchtete Glasvitrine mit dem leeren Samtkissen blieb genau so bestehen, damit sich das zahlreiche Publikum selber ein Bild dieses unglaublichen Raubes machen konnte. Die minuziösen Ermittlungen der Kriminalpolizei führten zu keinem Ergebnis. Zuerst wurden natürlich die Aufsichtspersonen und das Personal der Sicherheitsfirma verdächtigt, da nur sie wussten, wie die Alarmanlage funktionierte oder wie man sie ausser Betrieb setzen konnte. Auch der Museumsdirektor zählte in den Kreis der Verdächtigen. Aber alle Befragungen der beteiligten Personen ergaben keine erfolgsversprechende Spur und der Diamant tauchte weder im In- noch im Ausland irgendwo auf. Seltsam war nur, wie sich herausstellte, dass niemand im voraus den Diamanten tatsächlich jemals gesehen hatte. Er wurde angeblich erst knapp eine Stunde vor der Eröffnung in einem gepanzerten Sicherheitsfahrzeug angeliefert und auf das Samtkissen in der Glasvitrine platziert, die wiederum sogleich mit einem weissen Tuch verhüllt wurde, bevor die Alarmanlage eingeschaltet wurde.

Erst viele Jahre später stellte sich heraus, dass es sich um einen grossen Bluff handelte, der von Anfang an so geplant war. Auch wenn es diesen grössten Diamanten tatsächlich geben sollte, war er nie für diese Ausstellung vorgesehen. Alle Geschichten rund um diesen Diamanten waren frei erfunden. Einerseits vom Museumsdirektor aber auch von den vielen Journalisten, die darüber schrieben. Die Rechnung für den Museumsdirektor war dennoch aufgegangen. Die Sonderausstellung wurde zu einem Publikumserfolg, das Museum wurde über die Landesgrenzen hinaus bekannt, wenn auch mit eher schlechten Nachrichten. Aber wie jeder weiss, sind auch schlechte Nachrichten gute Nachrichten, wenn es darum geht ins Gespräch zu kommen. Erstaunlich dass der ganze Bluff nicht schon viel früher aufgedeckt wurde. Da sowohl die Polizei wie auch die Versicherung nachträglich in die Geschichte eingeweiht wurden, konnte das Museum nicht verklagt werden. Täuschung der Öffentlichkeit ist kein eigentlicher Straftatbestand und es gab bei niemandem einen effektiven Schaden. Die Sicherheitsfirma fürchtete um ihren beschädigten Ruf, sah aber von einer Anzeige ab, weil sich die Geschichte in Tat und Wahrheit nicht in ihrer Erfolgsrechnung bemerkbar machte. Und auch die anderen Sponsoren verzichteten auf rechtliche Schritte. Dennoch entschuldigte sich der Museumsdirektor öffentlich während eines Auftritts in einer Talkshow, was ihm dank seiner gewinnenden Art viel Respekt und Sympathie zurückbrachte. Ohne Zweifel war er ein Hochstapler, wenn auch ohne kriminelle Absichten.

Ich habe keine Ahnung ob diese Kurzgeschichte juristisch bzw. strafrechtlich stichhaltig wäre. Aber vielleicht klärt mich ein Jurist diesbezüglich bei Gelegenheit auf, so dass ich meine erfundene Kurzgeschichte abändern kann und sie an Glaubwürdigkeit gewinnt.

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