June 24, 2007 / erstellt am:  June 29, 2008
Gedanken, Tod

Warum habe ich geweint, als mein Vater starb?

Oberflächlich betrachtet oder für Aussenstehende mag diese Frage seltsam klingen, da es natürlich selbstverständlich ist, dass man weint, wenn eine nahe stehende Person stirbt, da Weinen ein gebräuchlicher emotionaler Ausdruck von Trauer ist. Aber vielleicht sollte die Frage auch besser «warum habe ich wirklich geweint, als mein Vater starb» lauten, da ich die tieferen Beweggründe verstehen will, um Klarheit zu schaffen oder um meine Gedanken ordnen zu können (!).

Das erste mal als ich weinen musste, war gleich nach der telefonischen Nachricht meiner Mutter, dass mein Vater soeben gestorben ist. Dies war vielleicht der emotionalste Moment, absolut losgelöst vom Verstand, den rein rational betrachtet war der Tod nach langer Krebskrankheit ja eigentlich absehbar und eine Erlösung. Eine rein gefühlsmässige Reaktion, wo der Verstand noch nicht nachgekommen ist. Die Zeit war zu kurz um die Tragweite des Verlustes oder der Erlösung im Kopf zu verstehen. Es ist mir einfach passiert, ich musste weinen, vielleicht auch weil man in solchen Situationen immer weint. Als ich dann zu Hause angekommen meinen bereits verstorbenen Vater zum letzten mal sah, meine Mutter und mein Bruder mit Tränen in den Augen, musste ich nicht weinen. Vielleicht auch überfordert durch die für mich neue Situation, da ich bisher noch nie an einem Sterbebett stand. Hinzu kam auch die Befürchtung, dass ich die traurige Stimmung nicht ertragen konnte und erleichtert war, dass ich eher eine erlösende Stimmung spürte.

Beim Gespräch mit dem Pfarrer am kommenden Tag musste ich jedoch wieder weinen. Wir sollten unseren Vater beschreiben, wie er war, was ihn erfreute oder auch verärgert hatte. Dabei erfuhr ich so manches, was ich zuvor nicht wusste und dadurch meinen Vater besser kennen lernte und auch besser verstand in seiner schwierigen Art. Ich glaube, dass ich da zum ersten mal weinen musste, weil ich die Gelegenheit verpasst habe, mit meinem Vater noch so über vieles mir Unklares zu reden. Da unsere Gesprächskultur in der Familie nicht dem entsprach, wie ich es mir gewünscht hätte, war dieses Schweigen nur logisch und geprägt durch gegenseitige Rücksichtnahme. Dieser Vorwurf an meine Eltern bestand schon seit meiner Pubertät und die Erklärung, dass meine Eltern einer Generation angehört, die das nie gelernt hat, schonungslos über alles zu reden, genügte mir nicht.

Dass ich weinen musste, als ich in meinem Büro vom Tod meines Vaters erzählte, erstaunt mich nach wie vor. Es war wirklich eine Überwältigung von Gefühlen, da die Nachricht eigentlich sachlich und rein informativ sein sollte. Viele wollten mir das schlechte Gewissen ausreden, das ich verspürte, da ich mich während der langen Krankheitszeit zwar etwas vermehrt, aber immer noch viel weniger als mein Bruder um meine Eltern gekümmert hatte. Das schlechte Gewissen, meine eigene Unzulänglichkeit, vielleicht auch die Ohnmacht, nichts wirklich tun zu können, hat mich zu Tränen gerührt.

Am Grab selber musste ich nur wenig weinen, da der Rahmen im engsten Familienkreis sehr schön und stimmig war. Die Trauer und Tränen meiner Mutter haben mich gerührt, aus Mitgefühl zu ihr, da sie in den letzten Monaten an die Grenzen ihrer Kräfte gekommen ist und ich es nicht bemerkt hatte, da für mich meine Mutter immer eine sehr starke Frau war und Anzeichen von Schwäche für mich undenkbar waren. Gerührt sein von der Anteilnahme anderer, war sowieso mehrmals ein Grund für Tränen. Als meine beste Freundin am Telefon anbot, zur Beerdigung zu kommen um mich zu unterstützen, oder als ich die vielen Leute beim Abschiedsgottesdienst sah, war ich gerührt und musste weinen. Ich war auch erstaunt, dass so viele Leute kamen, obwohl doch mein Vater sich in den letzten Jahren von vielen Leuten zurückgezogen hatte oder sich sogar mit ihnen verkrachte, da er als wahrscheinlich depressiv veranlagter Mensch, andere Menschen zu hassen begann, da für ihn die Natur und alles Natürliche das Wichtigste war und er die Menschen nur als Zerstörer betrachtete. Oder aus welchen Beweggründen geht man an eine Beerdigung? Als Unterstützung und Trostspende für die Hinterbliebenen, als ehrlicher Abschied vom Verstorbenen oder um sehen und gesehen zu werden. Die unausweichliche Auseinandersetzung mit dem Thema Tod von Mitmenschen oder des eigenen Ablebens kann natürlich ein weiterer Beweggrund sein.

Warum weint man? Es ist ein Ausdruck von physischem und/oder psychischem Schmerz. Manchmal sind die Beweggründe leichter zu verstehen und manchmal sind sie auch nicht zu verstehen, sondern höchstens zu erahnen.
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