May 30, 2011 / erstellt am:  June 2, 2011
Film, Video, Präsentation, Kurzgeschichten / Bewertung: 8

Die letzte Chance - ein Kurzfilm

Aus Erfahrung weiss ich, dass Filmprojekte schnell sehr aufwändig und kompliziert werden können, da viele Aspekte miteinfliessen. Deshalb habe ich mich entschieden im Filmkurs an der HKB bei Anna-Lydia Florin, Manuel Schüpfer und Priska Ryffel ein überschaubares Filmprojekt umzusetzen, um am Ende des zweiten Semesters einen fertigen Kurzfilm präsentieren zu können.

Das Projekt
Ich wollte eine einfache Kurzgeschichte erzählen und dabei meinen Fokus auf die formal-ästhetischen Bilder legen. Ähnlich wie bei der Fotografie wählte ich mit der Kamera einen interessanten Bildausschnitt und liess die Handlung darin spielen. Aus den erwähnten Überlegungen wollte ich auf gesprochene Sprache verzichten, da ich nicht mit ausgebildeten Schauspielerinnen und Schauspielern arbeitete. Auch die schauspielerischen Leistungen sollten in einem realistischen Rahmen bleiben um die Geschichte glaubwürdig und nicht peinlich erscheinen zu lassen. Die Geschichte ist so gewählt, dass keine aufwändige Suche eines passenden Drehortes viel Zeit beanspruchte. Sie spielt in unserer Wohnung bzw. vor und im Haus, wo wir wohnen. Aus terminlichen Gründen war ich gezwungen an einem einzigen Drehtag zu filmen. Ich musste den Drehtag also gut vorbereiten und durfte keine Szene vergessen. Im Drehbuch sind alle Abläufe, Regieanweisungen, Requisiten und Kameraeinstellungen festgehalten. Mit der Fotokamera habe ich im voraus alle Bildausschnitte fotografiert.

Inhalt der Geschichte
José will sich bei seiner Freundin Carmen für etwas entschuldigen, was er getan hatte. Reumütig will er sie bei ihr zu Hause mit drei Rosen überraschen und versuchen eine letzte Chance für ihre Beziehung zu erhalten. Wie wird Carmen, die gerade am Abwaschen ist, auf diesen Besuch reagieren? Wird sie ihm eine letzte Chance gewähren?

Meine Absichten und Interessen
Mich interessierte das Erzählen zwei zeitgleicher Handlungen. José ist auf dem Weg zu Carmen, während sie bei sich zu Hause das Geschirr abwäscht. Wir sind es gewohnt solche Parallelgeschichten anzuschauen. Dennoch ist es eine Möglichkeit Spannung zu erzeugen, da wir herausfinden wollen, wie die beiden Handlungen zusammenhängen. Auch der Rhythmus beim Schnitt und die Länge der Filmsequenzen können zum Spannungsaufbau beitragen. Dabei ist es immer eine Gratwanderung, dass zum Beispiel lange Einstellungen spannend bleiben und nicht zu langweilen beginnen.

Eine Geschichte erzählen ohne Worte nur mit Musik und Geräuschen war eine weitere Herausforderung. Früh war mir klar, dass ich ein bekanntes Stück aus einer Oper verwenden wollte. Die Kombination eine Oper hören und dazu abwaschen schien mir passend. Von der Geschichte ausgehend stiess ich auf die Oper «Carmen» von Georges Bizet. Frei interpretiert, geht es auch da um eine verschmähte Liebe. Ein Messer und Blumen kommen ebenso vor. Kurzerhand habe ich meine Protagonisten Carmen und José getauft. Beim Schnitt des Filmmaterials hatte ich das Glück, dass die Filmsequenzen gut zur Musik passten. Höhepunkte in der Musik konnte ich mit filmischen Höhepunkten verbinden. Wurde die Musik ruhiger, wurde auch der Schnitt ruhiger. Fehlende Geräusche habe ich nachträglich aus Geräuschbibliotheken auf dem Internet ergänzt.

Der Umgang mit Zeit finde ich interessant und bin erstaunt, wie zeitliche Ungenauigkeiten scheinbar unbemerkt bleiben, da wir es gewohnt sind Zeitsprünge zu akzeptieren. Ich wollte die zwei Handlungen zu Beginn in realer Zeit erzählen. Das heisst, die Zeit die er zum Treppensteigen benötigt, benötigt sie zum Abwaschen. Beim genauen Hinschauen würde man bemerken, dass die Zeit, die sie fürs Abwaschen braucht, nicht ausreichen würde, was aber weder auffällt noch stört.

Meine Absicht die spielenden Personen meistens nur angeschnitten zu zeigen um dadurch Spannung zu erzeugen widerspricht dem Bedürfnis Empathie zu den handelnden Personen aufbauen zu können. Ohne Empathie sind einem die Personen und schlussendlich die Geschichte egal, was geschieht, wenn die Personen anonym bleiben. Ich denke eine gekonnte Mischung aus Nahaufnahmen und Totalen machen Sinn. Bei meinem Kurzfilm fehlt mir die Distanz um beurteilen zu können, ob trotz häufig verwendeter Nahaufnahmen Empathie erzeugt werden kann.

Der Drehtag
Der Drehtag, Sonntag 27. März 2011, verlief plangemäss und ohne grössere Komplikationen. Es war jedoch unmöglich im voraus abschätzen zu können, wie lange der Drehtag dauern würde. Die meisten Szenen haben wir drei bis vier mal aufgenommen. Gewisse Szenen mussten auf Anhieb funktionieren und konnten nur einmal gefilmt werden. Allerdings hätte wahrscheinlich niemand bemerkt, wenn beim Zusammenwischen der Scherben, diese nicht gleich verstreut liegen würden, wie nach dem Fall des Glases. Übrigens gingen insgesamt nur sechs Gläser zu Bruch, da sie zum Teil nicht auf dem harten Küchenboden sondern in einem weichen Kissen landeten. Da wir nur zu viert waren, war ich froh, dass meine Schauspieler, die in einer Szene nicht vorkamen, beim Ton und Licht mithalfen, da ich sonst als Regisseur, Kameramann, Tontechniker und Beleuchter heillos überfordert gewesen wäre. Als Regisseur zu wissen, was man will und dies klar zu kommunizieren ist nicht immer einfach, wie ich feststellen musste.
Auf Empfehlung habe ich am Drehtag die Originalgeräusche mitaufgenommen. Da ich wusste, dass ich den Film mit Musik untermalen würde, waren mir die Originalgeräusche zu Beginn nicht so wichtig. Beim Schneiden des Filmmaterials war ich jedoch froh, da mir die Tonspur ermöglichte, Zusammenhänge klarer zu definieren. Nach 8 Stunden konzentrierter Arbeit, war das Filmmaterial im Kasten. Herzlichen Dank an alle Beteiligten, die mich in meinem Projekt unterstützt haben.

Die Aufnahmen wurden mit einer HD/SONY PMW-EX1 gedreht. Zusätzliches Licht brachte eine Lupo Superlight 3000. Die Originalgeräusche nahm ich mit einem Lavallier Mikrofon AKG CK97-0 mit der Mikrofonkapsel AKG/Nieren CK91 auf.

Der Schnitt
Im Rohschnitt habe ich alle Filmsequenzen aneinander gereiht, so wie ich sie geplant hatte. Durch Kürzungen und zum Teil Weglassen ganzer Szenen, wird der Film spannender, weil fehlende Sequenzen vom Betrachtenden automatisch ergänzt werden. Besonders die sich wiederholenden Szenen vom Warten vor der Türe, bei der nicht viel Handlung passiert, konnten auf ein Minimum reduziert werden. Dennoch musste ich eine relativ lange Warte-Szene stehen lassen, weil ich keine passende Alternative hatte und die Musik den Rhythmus vorgab. Das abwechselnde Auftreten der beiden Handlungen zu Beginn wird schnell durchschaubar und dadurch etwas langweilig. Diesen sich wiederholenden Rhythmus konnte ich durch zusammenschneiden aufeinanderfolgender Szenen unterbrechen.
Erst nachträglich haben wir festgestellt, dass nicht klar ist, wer am Schluss die Musik ausschaltet und wo dies stattfindet. Mit dem Geräusch des abfliessenden Wassers der vorangehenden Szene wird klar, dass die Stereoanlage sich in der Küche befindet und demzufolge, Carmen die Musik abstellt. Ganz allgemein habe ich gelernt, dass vieles auch mit dem Ton erzählt werden kann.
Das Zurückspulen des Films zur Vorgeschichte sollte immer schneller werden. Damit man sich aber noch an den Beginn der Geschichte erinnert, habe ich einzelne Anfangsszenen am Schluss des Zurückspulens wieder etwas langsamer eingeblendet, was gut funktionierte.

Das Ergebnis
Die Geschichte wird verstanden, wie mir nach der Präsentation vom 30. Mai 2011 bestätigt wurde. Durch den Verzicht auf Farbe wollte ich die Konzentration bewusst auf die Handlung lenken und ähnlich wie bei der Fotografie den formal-ästhetischen Anspruch der Kameraeinstellung geltend machen. Im Nachhinein bin ich mir bei diesem Entscheid nicht mehr sicher, ob er richtig war. Auf jeden Fall wirkt der farbige Schluss so noch um einiges kitschiger.
Vielleicht hätte ich den fragenden Blick von José beim Treffen des zweiten Mannes weglassen sollen, weil er bereits zu viel verrät und man erahnt, von wo der zweite Mann kommt. Dafür hat meine falsche Fährte mit dem Messer gut funktioniert, weil eine falsche Erwartung aufgebaut wurde, was beabsichtigt war. Ist eine Geschichte zu vorhersehbar, wird sie langweilig. Das Nichterfüllen von Erwartungen, überraschende Wendungen und ein überzeugender Schluss, machen einen Kurzfilm interessant. Mit gewissen Reaktionen des Publikums hätte ich nicht gerechnet. So wurde zum Beispiel der Handyanruf als lustig empfunden. Der Schluss des Filmes ist zwar unerwartet, aber keine Überraschung. Dennoch bin ich grösstenteils zufrieden mit meinem Kurzfilm und um einige Erfahrungen reicher. So auch die Erkenntnis, dass man vor jedem Filmdreh die Kameralinse putzen sollte.

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 Drehbuch (249.73 KB)
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