June 7, 2011 / erstellt am:  June 7, 2011
Weiterbildung, HKB, Layout, Infografik, Porträt / Bewertung: 8

Ein Wörterbuch von A bis Z zu 100 Jahre Leben

Schade sind es nicht 100 Stichworte zu 100 Geschichten auf 100 Seiten zu 100 Jahre Leben geworden. Aber dies wäre wohl etwas zu viel des Guten. Nach 74 Geschichten begannen sich die Geschichten und Anekdoten aus dem Leben von Martha Lina Roth zu wiederholen. So habe ich entschieden es bei diesen 74 Stichworten zu belassen.

«Ein Wörterbuch mit 74 alphabetisch geordneten Stichwörtern porträtieren das Leben von Martha Lina Roth. Zu jedem Stichwort erzählt sie eine Geschichte aus ihren 100 Jahre Leben. Wer war sie? Was hat sie erlebt? Was hat sie gemacht? Was hat sie geprägt? Welche Menschen haben sie begleitet? Wer oder was war ihr wichtig? Wie hat sie sich verändert? Und zu guter Letzt: Wie wird man hundert Jahre alt?»

So steht es auf der Rückseite meines 60-seitigen Wörterbuches, welches während dem Praxisprojekt zum Thema «Infografik» im zweiten Semester an der HKB bei Roland Fischbacher und Martin Woodtli entstanden ist. Die Infografiken habe ich neben alten und neuen Fotografien wie Illustrationen zu den einzelnen Stichworttexten verwendet. Infografiken sind vergleichende statistische Diagramme (z.B. Säulendiagramm), Ablauf-, Gliederungs- und Flussdiagramme (z.B. Stammbaum), Kartografische Diagramme (Karten) und Tabellen (z.B. Inhaltsangabe).

Aufgabe zum «Infographical Portrait»: Aus der praktischen Auseinandersetzung mit informativen Darstellungen erstellen die Studierenden ein Porträt eines Menschen. Durch infografische Mittel wie zum Beispiel Tabellen, Gebrauchsanweisungen, etc. sollen signifikante Geschichten der Person erzählt werden und ein Porträt mit Fakten entstehen. Die Person kann aus dem persönlichen oder fremden Umfeld ausgewählt werden.

Während der Recherche habe ich Martha Lina Roth mehrmals im Domicil Nydegg in Bern besucht. Ein grosser Vorteil war, dass sie in guter körperlicher und sehr guter geistiger Verfassung ist, noch sehr viel aus ihrem Leben weiss und gerne erzählt. Die Form des Wörterbuches entspricht den verschiedenen Gesprächsverläufen während der mehrmaligen Besuche. Unaufgefordert oder nach Fragen und Stichworten, erzählte Martha Roth mir Geschichten und Anekdoten aus ihrem Leben. Wie bei einem Puzzle setzte sich so der ganze Lebenslauf bestehend aus vielen kleinen Teilen allmählich zusammen. Manchmal erzählte sie chronologisch und manchmal zu einem speziellen Thema ohne zeitliche Verankerung.

Diese Geschichten schriftlich festzuhalten schien mir die geeignetste Form. Darum habe ich sehr viel geschrieben. Aber nur so konnte ich meinem Anspruch, ein umfassendes Portrait über eine Person zu schreiben, gerecht werden. Umfassend meint eben von A bis Z und die ganzen 100 Jahre und nicht nur einen Teil daraus. Es wäre einfacher gewesen, sich auf einen Lebensabschnitt oder ein bestimmtes Thema zu beschränken. Aber mich interessierte das Ganze und nicht nur einen Teil davon. Wie können 100 Jahre erfasst werden ohne auf Details zu verzichten und man dennoch den Überblick behält?

Wie in einem Wörterbuch üblich, sind die Texte alphabetisch geordnet, können aber auch chronologisch gelesen werden, beginnend beim ersten Stichwort «Anfang». Am Ende der Texte verweise ich jeweils auf den nächstfolgenden. Es gibt aber auch Texte, die ausserhalb der Zeit stehen und somit keine Verlinkung aufweisen. Diese Lesart ist etwas umständlich, weil man ständig vor und zurück blättern muss. Darum verläuft unten auf den Seiten eine Zusammenfassung des Lebenslaufes. Ausgewählte Stichworte sind mit Indexzahlen versehen, die wiederum auf die ausführlicheren Texte im Wörterbuch verweisen. Leider habe ich nicht zu allen Buchstaben des Alphabetes ein passendes Stichwort gefunden. Dafür gibt es zu einigen anderen mehrere Wörterbucheinträge.

Ich entschied mich aus der Ich-Perspektive zu erzählen um möglichst nahe an die Erzählungen von Martha Roth heranzukommen. Ergänzungen von mir oder aus meinen Recherchen sind aus einer anderen Erzählperspektive geschrieben. Die Ich-Perspektive suggeriert klar eine Subjektivität. Das Geschriebene stammt aus den Erinnerungen von Martha Roth. Obwohl sie noch erstaunlich viel aus ihrem Leben weiss, hat natürlich auch sie einiges vergessen oder im Laufe der Zeit durcheinander gebracht. Diese Unklarheiten wollte ich bewusst bestehen lassen. Wie in jedem Leben gibt es auch bei Martha ruhigere und bewegtere Lebensabschnitte, was sich in der zeitlichen Häufigkeit der Wörterbucheinträge zeigt.

Von Beginn weg erzählte sie mir sehr offen und ehrlich über ihr vergangenes Leben und schenkte mir ihr volles Vertrauen. Ich hatte den Eindruck, dass es nichts gibt, was sie verheimlichen wollte. Dass sie im Nachhinein Ereignisse anders betrachtet und vielleicht beschönigt, ist nicht ausgeschlossen, was aber genauso zu ihr und ihrer Lebenseinstellung passt, wie objektive Äusserungen, soweit es Objektivität überhaupt geben kann.

Die Geschichten und Anekdoten sind amüsant zu lesen. Interessant wird es aber erst, wenn man zwischen den Zeilen etwas erahnen kann, was mehr über Martha aussagt, als sie tatsächlich sagte. Solche Stellen hätte ich mir etwas mehr gewünscht. Die Infografiken helfen komplexe Zusammenhänge, wie zum Beispiel den Familienstammbaum oder die Lebenslaufzeitachse besser verstehen zu können. Ich habe die Infografiken bewusst schlicht und reduziert gehalten. Ich wollte keine Überinszenierung, die von der eigentlichen Information ablenkt. Auch in der Farbigkeit wollte ich sehr reduziert bleiben und finde meinen Entscheid, alles was mit Martha direkt zu tun hat, in magenta zu setzen, nach wie vor richtig. Magenta zählt neben blau und violett nun mal zu ihren bevorzugten Farben. Als zusätzliche Hintergrundfarbe ist dann noch ein beige hinzugekommen, welches ich von den alten Fotografien abgeleitet habe. Das gelb am Schluss wirkt wie ein Fremdkörper, abgeleitet von der gelben Wand in ihrem heutigen Zimmer im Domicil Nydegg. Eine Farbe, die Martha so nicht gewählt hätte, aber nun damit leben muss. Bei der Schrift wählte ich die «Myriad Pro». Ich wollte keine Schrift, die alt wirkt, nur weil es um eine alte Frau geht. Ich habe verschiedene Schriften ausprobiert. Die «Myriad Pro» hat einen starken und eigenständigen Charakter (wie Martha) und ist auch in kleiner Schriftgrösse noch gut lesbar. Für die Stichworttexte habe ich sie in 10 Punkt mit 13 Punkt Zeilenabstand verwendet. Zum Beispiel beim Stammbaum war ich gezwungen die Schrift in 5,6 Punkt zu setzen, um alle Informationen auf eine Seite zu bekommen, was aber immer noch gut lesbar bleibt. Die Form des Wörterbuches ergab ein relativ strenges Layout. Diesbezüglich hätte ich vielleicht etwas mutiger und weniger konventionell sein dürfen. Vielleicht habe ich durch die Bewältigung der Textmenge und die Konzentration auf den richtigen Textfluss das Layout etwas vernachlässigt. Aber auch beim Layout wollte ich keine Überinszenierung, die zu stark vom Inhalt ablenkt oder auf Kosten der Verständlichkeit geht. Eben nichts Überspanntes, wie Martha sagen würde.

Entstanden ist ein Portrait über eine Frau, die auf ein langes Leben zurückblicken kann. Dabei strahlt sie dank ihrer Erfahrung und Bescheidenheit eine ruhige Zufriedenheit aus. Mit derselben Zufriedenheit lebt sie jeden Tag, der ihr noch geschenkt wird, weiter.

Fazit vom 11.06.2011
Infografik steht in einem Widerspruch zu der Vielschichtigkeit einer Person. Infografik will klare Fakten visuell sichtbar und verständlich machen. Das Wesen einer Person jedoch besteht nicht nur aus klaren Fakten. Erst die Kombination Text, Fotografie und Infografiken ermöglichen diesen Anspruch besser zu genügen. Mir war dieser Anspruch wichtig um nicht nur an der Oberfläche zu bleiben. Dies entspricht meiner Vorstellung eines Porträts.

Wer Martha Roth wirklich ist, was ihr Charakter und Wesen ausmachen, kann beim Lesen und Betrachten meiner Publikation erahnt werden. Aus vielen kleinen Puzzelteilen entsteht ein Gesamtbild, ein Eindruck, eine Ahnung - ein Porträt eben. Die eher konventionelle und zurückhaltende Gestaltung trägt seinen Teil zum Ganzen bei.
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