March 23, 2013 / erstellt am:  March 24, 2013
aufgefallen, gefallen, Kunst, Künstler, Malerei

Christian Lindow - In Vergessenheit geraten

Ein Schmierfink war er. Schnell und scheinbar flüchtig schmierte er Acrylfarbe auf die Leinwand ungeachtet der Spritzer, Flecken und des Verlaufens der noch nassen Farbe. Die groben Pinselstriche bleiben sichtbar und verdeutlichen, dass es sich um Malerei handelt: Farbe mit einem Pinsel auf Leinwand aufgetragen mit dem Charakter einer leicht hingeworfenen Skizze. Trotzdem erkennen wir in den Farbflecken Gegenständliches und keine abstrakte Bildkomposition. Genau diese Malweise verleiht den Bildern eine Kraft und Lebendigkeit, weil die Bewegung und Geschwindigkeit der Entstehung spürbar bleibt. Es geht nicht darum die Natur möglichst genau abbilden zu wollen, sondern mit Farbe die Illusion einer Abbildung zu erzeugen. Dennoch erinnern die Bilder an Schwarzweissfotografie. Liegt es an der reduzierten Verwendung von Schwarz, Weiss und die durch Vermischung entstehenden Grauwerte? Oder weil Fotografien als projizierte Vorlage dienten, wie ich später herausfand.

Als Jugendlicher bin ich in den 80er Jahren bei einem Besuch im Kunstmuseum Bern auf ein grosses Bild (300 x 260 cm) aufmerksam geworden, welches im Eingangsbereich hing. Aus der Ferne betrachtet erkannte ich sofort ein Portrait einer Frau, welches sich jedoch bei näherer Betrachtung in Flecken und Pinselstriche auflöste. Es kam mir vor wie eine flüchtige Erinnerung an eine Person. Es gelingt mir nicht, das Bild in meinem Kopf zu präzisieren um die Person besser sehen zu können. Genau so wenig gelingt es mir die Frau auf dem Bild genauer erkennen zu können, weil ich bei naher Betrachtung nur Flecken und Pinselstriche erkennen kann. Gemalte Erinnerung könnte die Intention des Malers gewesen sein oder ist dies doch nur eine Interpretation meinerseits?

Der Maler Christian Lindow ist in Vergessenheit geraten und sein Frauenportrait hängt schon lange nicht mehr im Eingangsbereich vom Kunstmuseum in Bern. Auf dem Internet findet man nur wenig Informationen und noch viel weniger Bildmaterial über diesen Künstler. Erst in einigen Bibliotheken wurde ich fündig.

Christian Lindow wurde 1945 in Altenburg (Thüringen) geboren. Im August 1961 verlässt er die DDR und übersiedelt in die Bundesrepublik, wo er die Bildhauerklasse der Werkkunstschule in Mannheim besucht. Es entstehen ungegenständliche plastische Arbeiten. In Paris lernt er 1964 den Berner Künstler Herbert Distel kennen und kommt ein erstes Mal nach Bern, wo er seiner späteren Frau Kathrin Krebs begegnet. In den folgenden Jahren pendelt er zwischen Mannheim und Bern. Er befasst sich vermehrt mit konzeptuellen Arbeiten. Ende der 60er Jahre lässt er sich definitiv in Bern nieder und beginnt sich für die Malerei zu interessieren. 1981 kommt seine Tochter Anna zur Welt. Immer wieder hat er die Gelegenheit seine vielseitigen Arbeiten auszustellen. Auch noch nach seinem Unfalltod 1990 gibt es einige Einzel- und Gruppenausstellungen und dennoch scheint er heute in Vergessenheit zu geraten. Angeblich plant das Kunstmuseum Bern 2014 eine grosse Ausstellung.

Christian Lindow arbeitete mit Diapositiven, die er auf die Leinwand projizierte und nachmalte. Eine legitime Vorgehensweise, auch wenn es für manche wie Betrug erscheinen mag. Durch die schnelle Ausführung des Malens ist eine nachträgliche Korrektur nicht mehr möglich. Nachträgliche Korrekturen würden dem Skizzenhaften und Spontanen widersprechen und an Kraft und Lebendigkeit verlieren. Deshalb arbeitete er seriell bis die Sicherheit der Bewegung stimmte und das Ergebnis ihn überzeugte. Wie ein Forscher versucht er sich seiner Idealvorstellung anzunähern. Neben Portraits malte er auch Landschaften, Berge, Häuserfassaden, Stilleben mit Blumen und eine ganze Serie von Bildern mit Zwetschgen.

Eine Ernüchterung stellte sich allerdings während meiner Recherche ein, weil mir viele Bilder von Christian Lindow tatsächlich wie Schmierereien vorkamen. War es wirklich nur dieses eine Bild mit dem Frauenportrait, welches mich faszinierte und nicht mehr losliess, so dass ich mich noch nach Jahren daran erinnere? Ist er gar zu recht in Vergessenheit geraten? 
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